Die Kälte Des Feuers
glauben, daß so fantasievolle Erklärungen die Wirklichkeit widerspiegelten. Doch andererseits: Das Kind in ihr klammerte sich an der Hoffnung fest, daß es für die märchenhaften Vorstellungen eine reale Grundlage gab.
Zwanzig Minuten verstrichen, ohne daß irgend etwas geschah. Allmählich kehrte Holly von den erhabenen Höhen der Aufregung und freudigen Erwartung zurück, zu denen sie das Licht im Teich emporgetragen hatte. Noch immer fühlte sie ein tiefes Staunen, aber es betäubte jetzt nicht mehr ihren Intellekt. Sie erinnerte sich daran, was sie unmittelbar vor dem Strahlen im Wasser gespürt hatte: an das intensive, überwältigende und fast panikerweckende Empfinden, beobachtet zu werden. Sie wollte Jim darauf ansprechen, als ihr die seltsamen Entdeckungen im Farmhaus einfielen.
»Es ist komplett eingerichtet«, sagte sie. »Nach dem Tod deines Großvaters hast du seine Sachen nicht fortgebracht?«
»Ich habe die Möbel im Haus gelassen, um es vermieten zu können, während ich nach einem Käufer suchte.«
Genau das hatte Holly gedacht, als sie im Haus stand und nach einer Erklärung suchte. »Aber es fehlen nicht einmal die persönlichen Dinge.«
Jim mied ihren Blick, starrte statt dessen an die Wände und hielt nach Anzeichen für eine übernatürliche Präsenz Ausschau. »Ich hätte sie entfernt, wenn ich in der Lage gewesen wäre, einen Mieter zu finden.«
»Du hast alles fast fünf Jahre lang im Haus gelassen?«
Jim zuckte mit den Schultern.
»Dort ist in regelmäßigen Abständen saubergemacht worden, nicht nur kürzlich«, sagte Holly.
»Es könnte jederzeit ein Interessent kommen.«
»Ich finde es gruselig im Haus, Jim.«
Daraufhin sah er sie an. »Warum?«
»Es ist wie ein Mausoleum.«
Der Glanz in seinen blauen Augen ließ sich nicht deuten, aber Holly glaubte dennoch zu erkennen, daß sie ihn verärgert hatte. Weil ihn das viel zu weltliche Gespräch über Mieter, Hausputz und Immobilien von den weitaus faszinierenderen Aspekten einer Begegnung mit Außerirdischen ablenkte?
Er seufzte. »Ja, vielleicht hast du recht.«
»Dann frage ich mich, warum…« Holly sprach nicht weiter.
Jim drehte das Einstellrad der ColemanLaterne, und das Zischen des Gases wurde leiser. Das fast grelle weiße Licht gewann eine blassere Tönung, und die Schatten krochen etwas näher. »Um ganz offen zu sein: Ich konnte es einfach nicht über mich bringen, die Sachen meines Großvaters fortzubringen. Acht Monate lang waren wir vorher gemeinsam die Besitztümer meiner Großmutter durchgegangen. Als er so kurz nach ihr starb, wurde es zuviel für mich. Lange Zeit waren Lena und Henry praktisch alles, was ich hatte, und dann gab es sie plötzlich nicht mehr.«
Ein Schatten aus Schmerz fiel auf sein Gesicht, trübte den Glanz der blauen Augen.
Plötzliches Mitleid regte sich in Holly. Sie streckte den Arm über die Kühltasche und griff nach Jims Hand.
»Ich zögerte und zauderte immer wieder«, fuhr er fort. »Und je länger ich wartete, desto schwerer wurde es für mich, die Sachen meines Großvaters aus dem Haus zu entfernen. Wenn ich einen Mieter oder Käufer gefunden hätte…, dann wäre ich gezwungen gewesen, Ordnung zu schaffen, ungeachtet meines inneren Widerstands. Aber diese alte Farm ist ebenso marktfähig wie eine Wagenladung Sand in der Mohavewüste.«
Das Haus nach dem Tod des Großvaters zu schließen, vier Jahre und vier Monate lang nichts darin zu berühren, abgesehen davon, dann und wann Staub zu wischen - das war exzentrisch. Holly konnte es nicht aus einer anderen Perspektive sehen. Gleichzeitig ging es dabei um eine Exzentrizität, die sie rührte. Sie hatte es von Anfang an gespürt: Unter Jims Zorn, hinter der Maske des stahlharten Superhelden, verbarg sich ein sanfter, sentimentaler Mann, und sie liebte auch diesen weichherzigen Teil von ihm.
»Dieser Aufgabe stellen wir uns gemeinsam«, schlug Holly vor. »Wenn wir herausgefunden haben, was mit uns beiden geschieht, wenn unsere Fragen beantwortet sind …, dann bringen wir die Sachen deines Großvaters fort. Es wird dir bestimmt nicht so schwerfallen, wenn ich dir dabei helfe.«
Jim lächelte und drückte ihre Hand.
Etwas anderes fiel Holly ein. »Erinnerst du dich an die Beschreibung der Frau in meinem Traum während der vergangenen Nacht? Ich meine die Frau, deren Körper ich teilte.«
»Ja, ich glaube schon.«
»Du hast gesagt, du würdest sie nicht erkennen.«
»Und?«
»Aber im Haus gibt es ein Foto von
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