Die Kälte Des Feuers
sie etwas aus den Augenwinkeln, noch bevor das Klimpern verklang; Holly wandte die Aufmerksamkeit von der Mühle ab und sah statt dessen zum Teich hin.
Blutrotes Licht pulsierte in der Mitte und dehnte sich in konzentrischen Kreisen zu den Ufern hin aus, wie von einem geworfenen Stein verursachte Wellenmuster. Holly blieb ruckartig stehen und wäre fast gefallen, da der Kies unter ihr nachgab.
Als wieder Stille herrschte, verblaßte das Glühen im Teich. Das Wasser war jetzt viel dunkler als am Nachmittag. Ihm fehlten nun die sanften Tönungen von Schiefer; statt dessen sah es aus wie geschliffener Obsidian.
Wieder ertönten die Glocken; das scharlachrote Licht pulsierte einmal mehr aus dem Herzen des Teichs und strahlte nach außen. Die einzelnen Blüten aus Licht entfalteten sich nicht etwa auf der Oberfläche, sondern in der schwarzen Tiefe. Zuerst waren sie trüb, als sie aufstiegen, zerplatzten dann wie heiße Luftblasen und schickten Wellen aus schimmerndem Glanz zu den Ufern.
Das Klimpern verklang.
Das Wasser wurde dunkel.
Die Frösche am Teich quakten nicht mehr. Das allgegenwärtige Murmeln der Natur verstummte, und es herrschte eine ebenso undurchdringliche Stille wie im Farmhaus der Ironhearts. Es heulten keine Kojoten; es zirpten keine Insekten; es schrien keine Eulen. Nirgends knisterten die ledrigen Flügel von Fledermäusen. Nicht einmal das Gras raschelte.
Erneut läuteten die Glocken, und das Licht kehrte zurück. Diesmal war es nicht mehr rot wie Blut, sondern orangefarben und heller. Die fedrig-weißen Rispen des Pampasgrases an der Wassergrenze fingen den sonderbaren Glanz ein und schillerten daraufhin wie Wolken aus lumineszierendem Gas.
Etwas stieg vom Grund des Teichs herauf.
Als sich das Schimmern mit dem nächsten Verklingen der Glocken trübte, stand Holly in einem Kokon aus Ehrfurcht und Angst. Sie wußte, daß sie laufen und fliehen sollte, aber sie konnte keinen Fuß vor den anderen setzen.
Das Klimpern wiederholte sich.
Licht. Diesmal eine Mischung aus gelben und orangefarbenen Tönen. Überhaupt kein Rot mehr. Und noch heller als vorher.
Holly sprengte die Ketten der Furcht und stürmte in Richtung Windmühle.
Auf allen Seiten pulsierte strahlendes Licht in der sich verdichtenden Dunkelheit. Schatten sprangen rhythmisch hin und her wie Apachen, die an einem Lagerfeuer tanzten. Die Kornhalme hinter dem Zaun sahen aus wie die Beine lauernder Gottesanbeterinnen. Eine eigenartige Metamorphose schien die Mühle zu erfassen: Sie verwandelte sich aus Stein in Kupfer, dann in Gold.
Stille kroch heran, und das Funkeln erlosch, als Holly die Tür der Mühle erreichte.
Sie eilte über die Schwelle und blieb in der finsteren unteren Kammer stehen. Jetzt filterte überhaupt kein Licht mehr durch die Fenster, und die Schwärze war klebrig wie weicher Teer. Holly tastete nach dem Einschaltknopf der Taschenlampe, und das Atmen fiel ihr immer schwerer, als dringe die Dunkelheit in ihre Lungen, um sie zu ersticken.
Ein leises Klicken, und die Taschenlampe erleuchtete den großen Raum. Gleichzeitig erklangen wieder die Glocken. Holly wandte sich der Treppe auf der linken Seite zu und eilte nach oben.
Als sie auf halbem Wege das Fenster erreichte, blickte sie durch die Scheibe, die sie vor einer Weile abgeputzt hatte. Das pochende, pulsierende Licht im Teich weiter unten wurde noch heller und nahm nun eine bernsteinfarbene Tönung an.
Holly rief nach Jim und lief die letzten Stufen hoch.
Unterwegs fielen ihr einige von Edgar Allan Poe geschriebene Zeilen ein, die sie während der Schulzeit gelesen hatte. Sie hallten durch die entlegenen Gewölbe ihres Gedächtnisses, fanden einen Pfad in den Fokus des Bewußtseins:
Zu zählen die Zeit, Zeit, Zeit,
in einem Rhythmus geheimnisvoller Munterkeit,
zum Tönen, das so wundervoll geboren,
aus dem Klang der Glocken erkoren,
aus den Glocken, Glocken, Glocken …
Holly erreichte die hohe Kammer und sah Jim, der im winterweißen Glanz der Coleman-Laterne stand. Er lächelte, drehte sich im Kreis und starrte erwartungsvoll auf die Wände.
Als das Läuten neuerlicher Stille wich, sagte Holly: »Jim, komm schnell! Da ist etwas im Teich.«
Sie hastete zum nächsten Fenster, doch es befand sich zu weit auf der anderen Seite, und von dort aus konnte man den Teich nicht sehen. Von den übrigen wußte sie bereits, daß sie keinen Blick auf die Wasserfläche boten.
»Das Klimpern in den Steinen«, flüsterte Jim verträumt.
Holly kehrte zur
Weitere Kostenlose Bücher