Die Kälte Des Feuers
beiseite, so daß sie die zweite Seite sehen konnten. Rasch las sie Jims Fragen, dann die Antworten.
Kommst du aus einem anderen Sonnensystem?
JA.
Aus einer anderen Galaxis?
JA.
Befindet sich dein Raumschiff im Teich?
JA.
Seit wann bist du hier?
SEIT 10 000 JAHREN.
Holly starrte auf die letzte Zeile und hatte plötzlich das Gefühl, daß diese Situation traumartiger war als tatsächliche Träume. Nach so vielen Rätseln und Geheimnissen erhielten sie endlich Antworten - aber sie kamen irgendwie zu leicht. Sie wußte nicht genau, was sie erwartet hatte, aber es erschien ihr seltsam, daß plötzlich alles klar wurde - als sei nur eine kleine Prise des richtigen magischen Waschmittels notwendig gewesen, um in der trüben Brühe der Unwissenheit endlich bis auf den Grund zu sehen.
»Frag sie, warum sie hier ist«, sagte Holly, riß das zweite Blatt ab und legte es zum ersten.
Jim musterte sie überrascht. »Sie?«
»Warum nicht?«
Er strahlte. »Ja, warum nicht?«
Dann wählte er eine neue Seite seines eigenen Blocks und schrieb: Warum bist du hier?
Wieder erschienen die Buchstaben wie aus dem Nichts. UM ZU BEOBACHTEN, ZU LERNEN UND DER MENSCHHEIT ZU HELFEN.
Holly räusperte sich. »Weißt du, woran mich das erinnert?«
»Woran?«
»An eine Folge von Outer Limits.«
»Die alte Fernsehserie?«
»Ja.«
»Lief sie nicht vor deiner Zeit?«
»Sie wird in einem Kabelkanal wiederholt.«
»Warum denkst du dabei an eine Folge von Outer Limits?«
Holly starrte auf die Worte UM ZU BEOBACHTEN, ZU LERNEN UND DER MENSCHHEIT ZU HELFEN, runzelte die Stirn und erwiderte: »Hältst du das nicht für ein wenig … banal?«
»Banal?« wiederholte Jim verärgert. »Nein. Ich habe keine Ahnung, wie der Kontakt mit einer außerirdischen Wesenheit erfolgen sollte. In dieser Hinsicht mangelt es mir leider an Erfahrung, und deshalb begegne ich derartigen Erlebnissen weder mit einer ausgeprägten Erwartungshaltung noch mit Abgestumpftheit.«
»Entschuldige. Ich weiß nicht … Es ist nur … Wie dem auch sei: Mal sehen, was sich sonst noch ergibt.«
Holly mußte zugeben, daß ihre Ehrfurcht keineswegs nachgelassen hatte. Ihr Herz klopfte noch immer laut und heftig, und es fiel ihr nach wie vor schwer, tief Luft zu holen. Sie fühlte eine übermenschliche Präsenz, vielleicht sogar die einer höheren Macht, und sie reagierte mit Demut darauf. Holly dachte an das Etwas im Teich, an den Glanz, der noch immer in den Wänden pulsierte, an die auf dem Schreibblock erscheinenden Worte - angesichts dieser Realität wären nur hoffnungslos Dumme nicht beeindruckt gewesen.
Doch ihr Staunen wurde von dem Gefühl gemildert, daß die Wesenheit diese Begegnung wie in einem alten Fernsehfilm gestaltete. Jim hatte mit unüberhörbarem Sarkasmus darauf hingewiesen, daß er aufgrund mangelnder Erfahrung mit Außerirdischen keine zu enttäuschenden Erwartungen entwickeln konnte. Aber das stimmte nicht. Er war in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen, in einer von verschiedenen Medien bestimmten Epoche. Fernsehen, Kino, Zeitschriften und Bücher mußten einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf ihn ausgeübt haben. Das galt insbesondere für die Science-fiction, die damals gerade bei der Jugend sehr beliebt gewesen war. Jene Literatur hatte in Jim zweifellos detaillierte Vorstellungen im Hinblick auf den Kontakt mit Extraterrestriern geweckt - und die Wesenheit in der Wand entsprach ihnen allen. Hollys einzige bewußte Annahme lautete: Eine echte unheimliche Begegnung der dritten Art würde nicht einmal den fantasievollsten Darstellungen in Filmen und Büchern ähneln. Immerhin ging es dabei um Leben von einer anderen Welt, und fremd bedeutete fremd, völlig anders, etwas, für das es keine Vergleiche gab, das man nicht ohne weiteres verstehen konnte.
»Na schön«, sagte Holly. »Vielleicht benutzt die Wesenheit vertraute Begriffe. Ich meine: Möglicherweise greift sie auf unsere modernen Mythen zurück, um sich uns in einem verständlichen Kontext zu präsentieren. Wahrscheinlich unterscheidet sie sich so kraß von uns, daß wir ihre wahre Natur nie verstehen könnten.«
»Genau«, bestätigte Jim. Er schrieb eine weitere Frage: Was hat es mit dem Licht auf sich, das wir in den Wänden sehen?
DAS LICHT BIN ICH.
Holly wartete nicht auf Jims nächste Frage und wandte sich direkt an die Wesenheit: »Wie kannst du eine feste Wand durchdringen?«
Die Präsenz schien eine gewisse Förmlichkeit für notwendig zu halten, und
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