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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Treppe zurück, als die Glocken ertönten. Sie zögerte kurz und vergewisserte sich, daß Jim ihr folgte. Er wirkte benommen, wie in Trance.
    Dann eilte sie die Stufen hinunter, und dabei fielen ihr weitere Reime ein, die von Poe stammten:
    Hör den lauten Alarm der Glocken,
    die schlagen so kühn und unerschrocken! Mit was für einer Geschichte des Schreckens sie locken!
    Sie fragte sich, warum sie ausgerechnet jetzt an diese Verse dachte. Seit der Zeit am College hatte sie weder aus Gedichten zitiert noch welche gelesen - sah man einmal von Louise Tarvohls zuckersüßem Unsinn ab.
    Am Fenster wischte sie rasch die zweite Scheibe ab, um ihnen beiden einen besseren Ausblick zu gewahren. Das Licht war jetzt wieder blutrot und nicht mehr ganz so hell. Was auch immer sich vom Grund gelöst hatte, um nach oben zu steigen: jetzt sank es nach unten.
    Oh, die Glocken, Glocken, Glocken! Mit purem Schrecken sie locken …
    Es erschien ihr verrückt, mitten in einer so sonderbaren und rätselhaften Situation an Poesie zu denken, aber sie hatte noch nie zuvor unter derartigem Streß gestanden. Vielleicht reagierte der menschliche Geist auf diese Weise - indem er längst vergessenes Wissen reaktivierte -, wenn die Begegnung mit einer höheren Macht bevorstand.  Und genau das geschieht jetzt,  dachte Holly.  Die Konfrontation mit einer höheren Macht.  Vielleicht mit Gott - aber wahrscheinlich nicht. Sie konnte sich kaum vorstellen, daß Gott in einem Teich wohnte, obwohl Pfarrer und Priester sicher darauf hingewiesen hätten, daß Gott überall präsent war.  Er ist wie ein achthundert Pfund schwerer Gorilla, der sich überall dort niederlassen kann, wo es ihm gefällt.
    Als Jim an sie herantrat, verstummte das Klimpern, und das karmesinrote Licht im Teich verblaßte sofort. Er beugte sich neben ihr vor und blickte aus dem Fenster.
    Sie warteten.
    Zwei Sekunden verstrichen. Dann noch einmal zwei oder drei.
    »Nichts«, sagte Holly. »Verdammt, ich hätte es dir so gern gezeigt.«
    Diesmal wiederholte sich das Klimpern nicht, und der Teich blieb dunkel, umhüllt von der Dämmerung. Nur noch wenige Minuten bis zum Beginn der Nacht.
    »Wie sah es aus?« fragte Jim und wandte sich vom Fenster ab.
    »Wie etwas in einem Spielberg-Film«, erwiderte Holly aufgeregt. »Es stieg vom Grund auf. Licht, das im Rhythmus des Läutens pulsierte. Ich glaube, von dort stammt das Klimpern, von dem Ding im Teich. Irgendwie wird das Geräusch in die Wände der Mühle übertragen.«
    »Spielberg-Film?« wiederholte Jim verwirrt.
    Holly versuchte, es zu erklären. »Wundervoll und schrecklich, ehrfurchtgebietend und sonderbar, entsetzlich und gleichzeitig faszinierend.«
    »Wie in  Unheimliche Begegnung der dritten Art?  Meinst du eine Art Raumschiff?«
    »Ja. Nein. Ich bin nicht sicher. Keine Ahnung. Vielleicht noch etwas Seltsameres.«
    »Seltsamer als ein Raumschiff?«
    Furcht und Staunen wichen Ärger. Holly war nicht daran gewöhnt, daß ihr Worte fehlten, um etwas zu beschreiben, das sie gesehen oder empfunden hatte. Aber bei diesem Mann und den unvergleichlichen Erfahrungen, die sie irgendwie verarbeiten mußte, stellte ihr umfassendes Vokabular keine geeigneten Instrumente mehr zur Verfügung. Ihre Fähigkeit, unter allen Umständen treffende Formulierungen zu finden, ließ sie plötzlich im Stich.
    »Verdammt, ja!« brachte sie schließlich hervor. »Seltsamer als ein Raumschiff. Zumindest seltsamer als die Raumschiffe aus Filmen.«
    »Komm«, sagte Jim und stieg wieder die Treppe hoch. »Laß uns in die Kammer zurückkehren.« Als Holly am Fenster zögerte, trat er noch einmal auf sie zu und griff nach ihrer Hand. »Es ist noch nicht vorbei. Ich glaube, es beginnt erst. Wir müssen dort oben warten. Ich  weiß,  daß die Kammer zum Schauplatz der nächsten Ereignisse wird. Komm, Holly.«

5
    Sie nahmen auf den Schlafsäcken und Luftmatratzen Platz.
    Ein perlmuttener Schein ging von der Gaslampe aus, verlieh dem gelben und beigefarbenen Kalkstein einen weißen Glanz. Die Flamme im Glaskolben brannte mit einem leisen Zischen, und es klang so, als flüsterten Stimmen durch den Boden der hohen Kammer.
    Jim befand sich noch immer an der höchsten Stelle seiner emotionalen Achterbahn, war voller kindlicher Freude und froher Erwartung. Jetzt leistete ihm Holly in dieser Stimmung Gesellschaft. Das Licht im Teich hatte sie nicht nur erschreckt, sondern auch noch etwas anderes in ihr bewirkt: Es stimulierte profunde psychologische Reaktionen

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