Die Kälte Des Feuers
ihr.«
»Tatsächlich?«
»Im Wohnzimmer. Es zeigt ein gut fünfzig Jahre altes Paar - deine Großeltern Lena und Henry, nehme ich an.«
»Ja, das stimmt.«
»Lena war die Frau in meinem Traum.«
Jim runzelte die Stirn. »Wenn das nicht seltsam ist…«
»Mag sein. Aber es erscheint mir noch seltsamer, daß du sie nicht erkannt hast.«
»Vermutlich war deine Beschreibung nicht besonders gut.«
»Ich habe einen Schönheitsfleck erwähnt…« Jim kniff die Augen zusammen, und seine Finger schlössen sich fester um Hollys Hand. »Rasch, die Schreibblöcke.«
»Was?« fragte sie verwirrt. »Etwas bahnt sich an, ich spüre es. Und wir brauchen die Blöcke, die wir in Svenborg gekauft haben.« Jim ließ Hollys Hand los, und sie holte sowohl die beiden Blöcke als auch den Filzstift aus der nahen Plastiktüte. Er nahm die Dinge entgegen, zögerte, blickte an die Wände und sah dann zu den Schatten an der Decke hoch, so als warte er auf eine Eingebung. Die Glocken läuteten.
Jim fröstelte, als er das melodische Klimpern vernahm. Er wußte, daß ihm nun wichtige Entdeckungen bevorstanden; sie betrafen nicht nur die Ereignisse des vergangenen Jahres, sondern einen Zeitabschnitt, der die letzten zweieinhalb Jahrzehnte umfaßte. Und damit noch nicht genug - es erwartete ihn mehr. Viel mehr. Das Läuten kündigte die Offenbarung eines größeren Verstehens an, transzendentale Wahrheiten, Erklärungen in Hinsicht auf die fundamentale Bedeutung seines ganzen Lebens, seiner Vergangenheit und Zukunft, Ursprung und Bestimmung, sogar die Bedeutung der Existenz an sich. Solche Vorstellungen mochten grandios sein, aber Jim fühlte, daß man ihn in die Geheimnisse der Schöpfung einweihen würde, bevor er die Windmühle verließ. Ihn erwartete nun jene Art von Erleuchtung, die er vergeblich in verschiedenen Religionen gesucht hatte.
Als sich das Klingeln wiederholte, stand Holly auf.
Jim vermutete, daß sie zum Fenster an der Treppe gehen und den Teich beobachten wollte. »Nein, warte«, sagte er. »Diesmal wird es hier geschehen.«
Sie zögerte und nahm wieder Platz.
Als das Klimpern verklang, spürte Jim den Zwang, die Kühltasche beiseite zu schieben und einen der beiden Schreibblöcke zu nehmen, die zwischen ihm und Holly lagen. Er wußte nicht, wozu er den anderen verwenden sollte, und nach einigen Sekunden der Unentschlossenheit ließ er ihn liegen.
Als das melodische Läuten zum drittenmal ertönte, wurde es von sonderbar pulsierendem Licht im Kalkstein begleitet. Das rote Glühen schien seinen Ursprung in der Wand direkt vor ihnen zu haben, dehnte sich dann im ganzen Zimmer aus und schuf ein zitterndes Band aus strahlender Lumineszenz.
Während das seltsame Schimmern über die Wände glitt, gab Holly einen leisen Laut der Furcht von sich, und Jim erinnerte sich an die Schilderungen ihres Traums in der vergangenen Nacht. Die Frau - ob sie nun Lena Ironheart hieß oder nicht - war die Treppe hochgestiegen, und in der hohen Kammer hatte sie bernsteinfarbenes Licht in Wänden gesehen, die plötzlich aus buntem Glas zu bestehen schienen. Sie gewann dabei den Eindruck, als manifestiere sich etwas Böses und Schreckliches in den massiven Steinblöcken.
»Keine Sorge«, sagte Jim, um Holly zu beruhigen. »Es kommt nicht der Feind, sondern Etwas. Es droht keine Gefahr. Das Licht ist anders.«
Damit sprach er eine Gewißheit aus, die er von der höheren Macht empfing. Er hoffte bei Gott, daß er sich nicht irrte, daß sie wirklich nicht in Gefahr gerieten. Zu deutlich entsann er sich an die schreckliche biologische Verwandlung der Schlafzimmerdecke in Laguna Niguel vor gut zwölf Stunden, an das pulsierende Licht in einem öligen Geburtssack, der aus einer gewöhnlichen Trockenmauer wuchs, an die schattenhafte Gestalt darin, an das sich hin und her windende gestaltgewordene Entsetzen.
Das Klimpern erklang noch zwei weitere Male, und dabei gewann das Licht eine bernsteinfarbene Tönung. Ansonsten wies es überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem gräßlichen Glühen in der Schlafzimmerdecke auf. Jim erinnerte sich an eine ganz andere Farbe: Sie hatte Assoziationen von Fäulnis und dunklem Eiter geweckt, und ein unheilvoller dreifacher Herzschlag hatte das Pulsieren untermalt. Jetzt war nichts dergleichen zu hören.
Trotzdem zitterte Holly vor Furcht.
Jim wünschte sich, sie zu umarmen, aber er mußte seine volle Aufmerksamkeit auf die höhere Macht richten, die nun einen Kontakt zu ihnen herstellen wollte.
Das Läuten
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