Die Kälte Des Feuers
Miguel bis nach Boston!
Vielleicht beschränkten sich seine Heldentaten nicht einmal auf die Grenzen des Kontinents der Vereinigten Staaten. Holly dachte daran, die Suche nach Meldungen und Artikeln auf die internationale Presse auszudehnen. Vielleicht hatte Ironheart auch in Italien, Frankreich, Deutschland, Japan, Schweden und den Südseeinseln Leben gerettet.
Nein, das Etikett >Medium< konnte sie ihm gewiß nicht anhängen. Es fiel Holly kein Wort ein, das Jims Fähigkeiten treffend genug beschrieb.
Zu ihrer Überraschung fühlte sie ein tiefes, kindliches Staunen, das sie in dieser Intensität seit vielen Jahren nicht mehr gespürt halte. Ehrfurcht gesellte sich hinzu, und sie schauderte plötzlich.
Wer war dieser Mann? Was war er?
Vor rund dreißig Stunden, als sie den Artikel über Nicholas O’Connor in Boston gelesen hatte, wußte Holly, daß es sich um eine wichtige Sache handelte. Während sie das von Newsweb gelieferte Material las und die Liste zusammenstellte, gewann sie immer mehr den Eindruck, daß dies die größte Story in ihrem journalistischen Leben sein mochte. Jetzt begann sie zu glauben, daß die Geschichte vielleicht zum größten Knüller des ganzen Jahrzehnts wurde.
»Ist alles in Ordnung?«
»Alles ist überaus seltsam«, erwiderte Holly, bevor sie feststellte, daß die Frage nicht von ihr selbst stammte.
Die Kellnerin - ihre Uniformbluse wies den gestickten Namenszug >Bernice< auf - stand neben dem Tisch und wirkte besorgt. Holly begriff, daß sie die ganze Zeit über auf den Teller gestarrt und nichts gegessen hatte, während sie an Jim Ironheart dachte. Ihr Verhalten war Bernice aufgefallen, und vielleicht nahm sie an, mit der Mahlzeit stimme etwas nicht.
»Seltsam?« wiederholte Bernice und runzelte die Stirn.
»Äh ja. Ich finde es seltsam, in einem Cafe, das ganz normal zu sein scheint, die besten Blaubeer-Pfannkuchen meines Lebens zu bekommen.«
Bernice zögerte und schien zu argwöhnen, daß sich Holly einen Scherz erlaubte. »Sie … schmecken Ihnen wirklich?«
»Ich bin verrückt danach«, antwortete Holly, schob sich ein Stück in den Mund und kaute den kalten Brocken hingebungsvoll.
»Das freut mich! Möchten Sie sonst noch etwas?«
»Nur die Rechnung«, sagte Holly.
Sie aß weiter, nachdem Bernice gegangen war, und gab schlicht und einfach ihrem Appetit nach.
Gleichzeitig sah sie sich im Restaurant um und beobachtete die bunt gekleideten Urlauber, die über erlebte und noch bevorstehende Vergnügungen sprachen. Zum erstenmal seit Jahren spürte sie wieder Erregung darüber, ein Insider zu sein. Sie wußte etwas, von dem die anderen nichts ahnten. Sie war eine Journalistin, die ein Geheimnis hütete. Wenn sie ihre Ermittlungen abgeschlossen hatte, wenn die Story auf dem Papier stand, in einem so direkten und doch beschwörenden Stil wie die besten journalistischen Arbeiten Hemingways (Holly wollte es zumindest versuchen) bestimmt erschien sie dann in dicken Schlagzeilen auf der Titelseite jeder wichtigen Zeitung in der ganzen Welt. Holly spürte ein angenehmes inneres Kribbeln, als sie dachte: Und das Schönste daran ist - mein Geheimnis hat nichts mit politischen Skandalen, Umweltverschmutzung oder anderen Formen tragischen Schreckens zu tun, die das Getriebe der internationalen Medien schmieren. In meiner Geschichte geht es um ein modernes Wunder, um Mut und Hoffnung, um verhinderte Tragödien. Es ist eine Geschichte von geretteten Menschen, vom besiegten Tod.
Das Leben ist so herrlich, fügte Holly in Gedanken hinzu und strahlte übers ganze Gesicht.
Nach dem Frühstück blätterte Holly in einem Buch mit Straßenkarten - es hieß Thomas Guide und suchte nach Jim Ironhearts Haus in Laguna Niguel. Sie hatte seine Adresse noch von Portland aus festgestellt, indem sie mit Hilfe des Computers die öffentlichen Daten aller Immobilien-Transaktionen im Orange County seit dem Beginn des Jahres durchging. Ihre Annahme: Wer sechs Millionen Dollar in der Lotterie gewann, gab vermutlich einen Teil des Geldes für ein neues Haus aus. Das war tatsächlich der Fall. Ironheart gewann das Geld vermutlich aufgrund seiner hellseherischen Fähigkeiten - Anfang Januar, und am 3. Mai kaufte er ein Haus am Bougainvillea Way. Die elektronisch erfaßten Dokumente wiesen nicht darauf hin, daß er Grundbesitz verkaufte, offenbar hatte er vorher zur Miete gewohnt.
Sein eher bescheidenes Heim überraschte sie ein wenig. Es handelte sich um ein neues Wohnviertel, unweit des
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