Die Kälte in dir (German Edition)
Team ergänzten sich in ihren Überlegungen. Decher hatte seine Überheblichkeit abgelegt, aber das Ergebnis war ernüchternd.
Bruno Schwarz war als wichtiger Zeuge wenigstens auf die Fahndungsliste gerutscht. Zudem erhielt die SoKo Hitze einen Durchsuchungsbeschluss für Hannes Achterbergs Labor, den Staatsanwalt Pokorny mehr aus Verzweiflung bewilligt hatte. Kristinas Bericht hierzu wurde kontrovers diskutiert. Ein Bezug zu den Mordfällen im Remstal ließ sich nur indirekt über die 5 0 000 Euro, die Achterberg von Schwarz erhalten hatte, herstellen. Und über den Stoffwechselspezialisten Dr. Lorenz, der das Opfer Carola Walz zu seinen Patienten zählte, und der mit Achterberg ein Bier trinken gewesen war. Wenn jedoch der Verdacht bestand, dass der Biologe – der ohne Frage in großen Geldnöten steckte – eine Beziehung zur russischen Mafia pflegte, konnte man eine Verbindung zum illegalen Handel mit Organen und Leichenteilen nicht gänzlich ausschließen. Selbst Transaktionen mit menschlichem Fettgewebe nicht.
Daniels Beobachtungen und sein Gespräch mit Worobjow in die Unterredung einzubringen war für Kristina eine heikle Angelegenheit. Es gab viele fragende Blicke, besonders bei Decher, doch Retter verstand es, die Lage einzuschätzen. Alle Kraft galt vorerst der Suche nach dem Mörder. Dienstvergehen würden danach geahndet werden.
Wenn Kristina an die Konsequenzen dachte, die damit auf sie zukamen, stellten sich ihr die Haare auf.
Sie öffnete die Flasche Rotwein und goss das Glas, das vor ihr auf der Brüstung ihres Balkons stand, randvoll.
Das einzige Licht kam von einer Duftkerze, die neben dem Weinglas auf der Brüstung flackerte. Der Geruch sollte Mücken fernhalten, die stechenden Biester schienen dies jedoch nicht zu wissen. Gelegentlich wedelte Kristina die surrenden Insekten fort. Vom Tag war nur noch ein violetter Streifen über dem Bergrücken des Schwäbischen Waldes übrig.
Sampo und sein Team waren nach der Sitzung erneut in Schwarz’ Wohnung gegangen. Das Passfoto, das ihnen vorlag, war zehn Jahre alt. Da hatte Schwarz bei einem Besuch in Deutschland seine Dokumente verlängern lassen. Das biometrische Bild zeigte, wie viele Fotos dieser Art, eine versteinerte, ausdruckslose Miene.
Kristina musste mit Nikolaus Gentner reden, dem einstigen Geschäftspartner von Bruno Schwarz. Es war dringend notwendig, so viel wie nur möglich über den Architekten in Erfahrung zu bringen. Den Mann, der jahrelang in Afrika gelebt hatte und der vor Kurzem nach Deutschland zurückgekehrt war, um bald darauf wieder spurlos zu verschwinden.
Der ehemalige Verlobte von Louise Osswald.
Die sich gottlob endlich gemeldet hatte. Eine halbe Stunde zuvor, um Kristina mitzuteilen, dass sie am nächsten Tag um sechs Uhr früh in Frankfurt landen und mit dem ersten Zug nach Stuttgart weiterfahren würde. Kristina hatte ihr angeboten, sie am Bahnhof abzuholen, aber das hatte Louise abgelehnt. Sie versprach allerdings, umgehend in die Polizeidirektion zu kommen. Vielleicht würde Kristina trotzdem jemanden hinschicken, um auf Nummer sicher zu gehen. Daniel wäre ein Kandidat dafür gewesen, doch der hatte sich ja einbetonieren lassen müssen.
Kristina hatte es nicht geschafft, noch einmal nach ihm zu sehen. Allerdings würde sie morgen ohnehin vor Ort sein, wenn sie Achterbergs Labor durchsuchten. Danach konnte sie einen Krankenbesuch einschieben. Ihr junger Kollege wäre dann hoffentlich wieder klar im Kopf und sie guter Dinge, den Rest seiner Geschichte zu erfahren.
Sie richtete den Blick in den Sternenhimmel, lange Minuten, bis sich ein Gefühl des Schwebens einstellte. Allein, im All treibend. Der Wein im Blut sorgte für die Schwerelosigkeit, wurde zum Raketentreibstoff, der sie raus in den Weltraum jagte. Ihr Kontakt zur Ground Control war schon lange abgerissen.
Houston, wir haben ein Problem!
Für einen Anruf bei ihren Eltern war es auch an diesem Tag zu spät. Ihr fiel sonst niemand ein, mit dem sie telefonieren könnte und der nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatte. Sie grübelte darüber nach, wann sich eine ihrer Freundinnen das letzte Mal nach ihr erkundigt hatte. Oder wann sie zuletzt selbst zum Hörer gegriffen hatte. Seit sie nicht mehr in Bayern lebte, hatte sie nicht sonderlich viel dafür getan, neue Leute kennenzulernen. Dank ihrer Beziehung zu Kai mit dessen ausgedehntem Freundeskreis hatte es hierfür lange Zeit keine Notwendigkeit gegeben. Dann hatte Holle diesen verfluchten Schlaganfall
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