Die Kälte in dir (German Edition)
gehabt, und sie hatte darüber irgendwie ihr Privatleben vergessen.
Und da war sie nun. Losgelöst, im Weltall dahindriftend. Zusammen mit ein paar Stechmücken. Die einzigen Lebewesen, die sich für sie interessierten und dabei ihr ewig gleiches lästiges Lied summten. Kein gutes Thema, um auf andere Gedanken zu kommen.
Sie trank das Glas leer, schenkte sich nach und steckte den Korken in den Flaschenhals. Das sollte reichen, um genug Bettschwere zu erlangen. Sie brauchte morgen früh ihre uneingeschränkten Sinne.
Wenn dieser Fall beendet war, wollte sie sich endlich wieder um sich kümmern, bevor das Leben komplett an ihr vorbeirauschte. Denn es konnte unter Umständen schneller vorbei sein, als man ahnte.
Ungewollt stellte sich die Erinnerung an die Nacht mit Daniel ein. Auch in seinen Armen hatte sie die Schwerelosigkeit gespürt, die sie selbst mit Kai nur selten hinbekommen hatte. Im letzten Jahr ihrer Beziehung überhaupt nicht mehr. Und erst recht nicht bei dem Typen, bei dem sie vor rund zwei Monaten gelandet war. Eine Frustsache mit einem miserablen Ausgang. So mies, dass sie es wieder hatte sein lassen. Bis Daniel gekommen war, dessen Melancholie in seinen Augen sie erst hatte weich werden lassen und dessen Hände ihren Körper dann völlig zum Schmelzen gebracht hatten. Sie war gefallen. In die bodenlose Tiefe der Lust, in der es kein Nachdenken gab, keine Hemmung, nur animalische Instinkte.
Das Schrillen des Handys ließ sie zusammenschrecken. Der Rotwein schwappte über und tropfte auf ihr T-Shirt. Fluchend tastete sie nach dem Telefon.
Es war Sampo. Er benötigte nur einen Satz, um sie auf die Erde zurückzuholen.
»Wir haben uns geirrt.«
Der Mann, der am Fenster lag, schnarchte. Aber das war es nicht gewesen, was ihn geweckt hatte. Auch nicht die latent vorhandenen Schmerzen in den Beinen. Ein Brennen, als würden Würmer zwischen Muskeln und Knochen auf und ab wandern. Die Kanüle für die Infusion war verschwunden. Dafür hatte Daniel Tabletten bekommen, die ihn schläfrig machten und den Schmerz forttrugen. Der Arzt, der vor dem Abendessen bei ihm gewesen war, hatte optimistisch geklungen, dass Daniel am nächsten Tag entlassen werden konnte, falls die Blutergüsse in den Unterschenkeln es zuließen.
Als er jetzt die Augen aufschlug, fühlte er sich zum ersten Mal klar, seitdem sie ihn aus dem Betonfundament gemeißelt hatten.
Es war dunkel. Nur aus der Ecke bei der Tür drang das schwache Leuchten eines EKG -Monitors, der die Körperfunktionen des Patienten links von ihm überwachte. Der Wind, der durch das gekippte Fenster drang, brachte keine Abkühlung. Es war unangenehm stickig im Zimmer. Vielleicht hatte ihn das geweckt. Dieser zähe Luftstrom und klebrige Hitze, die sich unter der Decke unerträglich anfühlte.
Daniel wollte sie zur Seite schlagen, da sah er die Person vor seinem Bett. Seine Bewegung erfror im Ansatz, und sein Herz machte einen Sprung.
Linnemann hatte bei seinem Besuch am Nachmittag vorgeschlagen, einen Uniformierten vor die Tür zu setzen. Doch Daniel hatte abgelehnt und seinem Chef versichert, dass sein Leben nicht länger in Gefahr war.
Diese Sache war ausgestanden, der Spatz hatte seine Genugtuung erhalten. Die späte Abrechnung eines Vaters für sein kleines Mädchen.
So hatte Daniel es Linnemann natürlich nicht gesagt.
Darum bemüht, sich nicht zu bewegen, blinzelte Daniel mit rasendem Puls in die Dunkelheit, ohne dass die Konturen der Person deutlicher wurden.
War der Russe doch noch nicht fertig mit ihm?
Um an den Rufknopf für die Nachtschwester zu gelangen, hätte er sich strecken müssen. Eine verräterische Bewegung, die seinem nächtlichen Besucher selbst im Zwielicht nicht entgangen wäre.
Das ergab keinen Sinn. Hätte der Spatz einen Killer geschickt, wäre Daniel längst tot. Etwas anderes hielt ihn davon ab, das Licht anzuschalten. Der nächtliche Besucher war nicht groß, nicht breitschultrig. Je länger er zurückstarrte, desto weniger Furcht einflößend wirkte die Situation. War Kristina zurückgekehrt und traute sich nicht, ihn zu wecken?
Nein, es war mitten in der Nacht. Da stand eine andere Frau, die nach ihm sehen wollte. Heimlich. Versteckt vor den Argusaugen ihrer ständigen Begleiter.
Darja.
Sie konnte es sein. Sein Puls raste jetzt noch mehr. Wäre er ebenfalls an ein Überwachungsgerät angeschlossen gewesen, hätte es spätestens jetzt Alarm ausgelöst.
Warum sagt sie nichts?
Wartete sie darauf, dass er das erste Wort
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