Die Kälte in dir (German Edition)
ruhig
, dachte Daniel. Und von vorn
.
»In welchem Verhältnis stehen Sie zu Louise?«
»Sie ist eine gute Freundin. Wir kennen uns noch aus Schulzeiten, und ich habe sie mehrmals in Kanada besucht. Vor drei Tagen rief sie an und sagte, dass sie nach Stuttgart käme. Ihr Vater ist gestorben … Aber das wissen Sie ja … Nun, gestern Morgen habe ich sie dann vom Zug abgeholt und zu mir gebracht. Leider hatte ich nicht viel Zeit, weil ich zur Arbeit musste. Wegen des Jetlags wollte sie sich ohnehin erst mal hinlegen. Später rief sie mich im Büro an, um mein Auto auszuleihen. Ich dachte mir nichts dabei. Seitdem ist sie verschwunden.«
»Und sie hat nicht gesagt, wohin sie wollte?«, hakte Daniel nach. Sein T-Shirt war schweißnass, der Schmerz in seinen Beinen vergessen.
»Sie hat nur diese Nummer hinterlassen.«
»Für den Fall«, flüsterte Daniel.
Kristina hatte dringlich versucht, diese Louise Osswald zu erreichen. Die Parallele zu Carola Walz drängte sich ihm auf. Auch auf die hatte Kristina vergebens gewartet. Das konnte unmöglich noch einmal passiert sein.
»Meine nächste Frage mag Ihnen ungewöhnlich erscheinen«, knüpfte er an. »Aber ich muss das wissen. Ist Ihre Freundin Louise Osswald übergewichtig?«
17
Das Gespräch mit Louise Osswalds einstiger Schulfreundin hatte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die verstörte Frau konnte nur wiederholen, was sie Daniel schon am Telefon geschildert hatte. Kristina hatte eine Streife zur Osswald-Villa geschickt. Das war der einzige Ort, der ihr einfiel, den die Wahlkanadierin womöglich hätte aufsuchen können. Doch die Meldung, die zurückkam, war eindeutig:
keine verdächtigen Personen, keines der Autos, die auf der Fahndungsliste standen, alles ruhig.
Daniel hatte den Dienstwagen im Schatten eines Baums auf einem Parkplatz am Remsufer abgestellt. Er wollte nicht in der Tiefgarage warten, und von hier aus konnte er in einer Minute im Präsidium sein, sollte Kristina ihn brauchen. Sie koordinierte vom Krisenraum aus zusammen mit Decher die Fahndung. Fraglich, ob sie an diesem Tag überhaupt noch ausrückten.
Durch die heruntergelassene Scheibe beobachtete er die Leute, die am Fluss entlangschlenderten. Sein Magen meldete sich. Er hätte sich irgendwo eine Pizza holen können, doch dafür müsste er zurück in die Sonne. Auf den Parkplatz würden sie wohl kaum liefern. Er schmunzelte über die Vorstellung, einen Pizzaboten mit einer grünen Styropor-Isolierbox hier antanzen zu lassen, der ihm eine Quattro Stagioni servierte.
Dieser Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz.
Der Lieferservice?
Er startete den Wagen, der Hunger war vergessen.
Das Tor war geschlossen. Er rüttelte daran. Eine unnütze Geste. Es würde sich nicht öffnen lassen, das wusste er vom letzten Besuch. Daniel spähte durch das Lanzengitter. Das Haus sah schön aus. Ein Anblick, bei dem Neid aufkommen konnte. Umrahmt vom Wald. Friedlich. Gar nicht so unheimlich, wie man sich einen Tatort vorstellte, an dem ein blutrünstiger Mord verübt worden war. Das war ihm schon beim ersten Mal durch den Kopf gegangen, als er mit Kristina hierher gefahren war. Wie lange mochte das her sein?
Er bekam es nicht mehr zusammen. Sie waren von dem Bauernhof gekommen, dessen Dächer jenseits des verdorrten Maisfelds in der Hitze flimmerten. Danach waren sie oben am Haus gewesen, hatten die Polizeisiegel an den Türen überprüft und einen Rundgang um das Anwesen gemacht. Von jenseits des Ackers trug der Wind das Geräusch eines Traktors an sein Ohr.
Es steckte Post im Briefkasten, der in die rechte Säule der Toreinfassung eingelassen war. Weit mehr als beim vorangegangenen Besuch. Er rupfte das heraus, was oben aus dem Schlitz ragte. Osswald bekam weiterhin Briefe von seiner Telefongesellschaft, von der Gemeinde und vom Verlag einer Wirtschaftszeitung. Daniel tastete in den Schlitz. Da war noch mehr, aber er bekam es nicht zu fassen. Die Kante des Briefkasteneinwurfs schnitt schmerzhaft in seinen Handrücken. Er reckte die Finger, bis die Knöchel knackten. Fühlte etwas, das in einen festeren Karton verpackt war. Eine Buchsendung vielleicht. Und eventuell ein Magazin, eingeschweißt in Cellophan.
Er quetschte seine Hand noch tiefer hinein, und da war es. Vermutlich. Er bekam das dünne Papier zwischen Zeige- und Mittelfinger, doch wenn er sie zurückzog, entglitt es ihm wieder. Es steckte zwischen der anderen Post fest, die der Briefträger durch ständiges Nachstopfen sauber komprimiert
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