Die Kälte in dir (German Edition)
neue Semester nicht begonnen. Er verpasste nichts, aber jeden Tag ins Freibad zu gehen, war auf die Dauer auch frustrierend. Inmitten kreischender Schüler, die wegen der Sommerferien nicht mehr ausgelastet waren.
Er hatte jedenfalls nicht ernsthaft vor, diese Sache sonderlich lange mitzumachen. Genervt sah er auf die Uhr. Die Besprechung dauerte jetzt schon über eine Stunde. Fünf Minuten gestand er der Dezernatsleiterin noch zu, dann würde er verschwinden.
Soll die Rote Zora schauen, wie sie allein klarkommt.
Daniel zuckte zusammen und spürte, wie seine Ohren rot wurden. Sie stand plötzlich vor ihm. War er tatsächlich eingenickt? Das Grinsen, das in ihrem Gesicht stand, war Bestätigung genug. Diese verfluchte Müdigkeit, die er den ganzen Tag mit sich herumschleppte, machte ihm zu schaffen. Lag er dann endlich im Bett, verhöhnte ihn die Schlaflosigkeit. Wie sollte das enden?
»Dann mal los!«, forderte sie ihn auf.
Benommen erhob er sich von der Bank. Sie hielt ihm einen Autoschlüssel vor die Nase.
»Wohin?«, fragte er.
Sie hörte nicht auf, ihn zu belächeln. »Pathologie.«
Daniel griff nach dem Schlüssel. Die Kommissarin ging voraus und er trottete hinterher. Der Uniformierte am Empfang blickte ihm belustigt entgegen, als wüsste die komplette Dienststelle schon über seine verantwortungsvolle neue Aufgabe Bescheid.
Die Kommissarin bog ins Treppenhaus ab, Richtung Tiefgarage. Einen Stock abwärts. Nach zwei Schleusen erreichten sie den Fuhrpark. Daniel drückte auf den Türöffner, und die Scheinwerfer eines silberfarbenen C-Klasse-Mercedes blinkten ihm entgegen. Die Kommissarin steuerte die Beifahrertür an und er setzte sich brav hinters Lenkrad.
»Nach der Ausfahrt links, geradeaus über die Kreuzung«, wies sie ihn an.
Der Motor heulte auf. Mit etwas zu viel Gas fuhr Daniel aus der Parklücke, bremste, zuckelte mit schleifender Kupplung weiter auf das Tor zu.
»Es öffnet automatisch, nicht so schüchtern«, sagte seine Beifahrerin.
Draußen blendete die tief stehende Sonne. Daniel folgte den Anweisungen bis zur Kreuzung und hielt an der roten Ampel.
»Ich weiß nicht einmal Ihren Namen«, stellte er fest.
»Kriminaloberkommissarin Kristina Reitmeier«, klärte sie ihn auf. »Wenn Sie brav sind, dürfen Sie den Rang weglassen, Herr Wolf.«
»Daniel«, sagte er.
»Gut, Daniel. Es ist grün.« Dabei beließ sie es, der Smalltalk war beendet.
Er fuhr über die Remsbrücke, sie lotste ihn zum Kreiskrankenhaus und dort auf einen Parkplatz für Dienstfahrzeuge.
»Wird nicht lange dauern.«
»Kann ich mitkommen?«
Sie sah ihn verwundert an. »Schnüffeln Sie gerne an Leichen?«
»Ist weniger heiß, als hier im Auto zu warten«, argumentierte er.
Reitmeier zuckte mit den Schultern. »Sie halten die Klappe und fassen nichts an!«
Die angenehme Kühle im Untergeschoss des Krankenhauses machte den Geruch von Desinfektionsmitteln, Formaldehyd und Verwesung zum kleineren Übel.
Die Pathologin empfing sie in ihrem vollgestellten Büro.
Dr. Miriam Wuppermann
stand auf dem Schild an der Tür des kleinen Glaskastens, der sie von dem gekachelten Raum mit den Edelstahltischen trennte.
Zwei der drei Seziertische waren mit grünen Tüchern bedeckt. Unter dem rechten zeichneten sich deutlich die Konturen eines menschlichen Körpers ab. Unter dem anderen Tuch schien nicht einmal die Hälfte eines Menschen zu liegen. Das musste die Brandleiche sein, über die in den Gängen des Präsidiums getuschelt worden war.
Daniel schluckte trocken und wandte sich der adretten Pathologin zu, um dem Anblick der bedeckten Toten zu entkommen. Bislang hatte er im Rahmen seiner Polizeiausbildung noch nie eine obduzierte Leiche gesehen. Und dabei wollte er es gerne belassen, auch wenn die Neugierde ihn dazu getrieben hatte, die Kommissarin zu begleiten.
Kristina Reitmeier hielt es nicht für nötig, ihm die Ärztin vorzustellen. Aber das war besser, als zum Chauffeur deklariert zu werden. Die Pathologin ignorierte weiterhin ihren Besuch und las in einer Akte. Nach langen Sekunden legte sie den Bericht zur Seite und sah auf. Ihre Blicke trafen sich, und sie schenkte Daniel ein zartes Lächeln.
Die Kommissarin schob sich vor ihn und zerstörte den Moment. Er hatte vergessen, sich wie befohlen im Hintergrund zu halten. Missbilligend steckte er seine Hände in die Hosentaschen und lehnte sich gegen den Türrahmen.
»Frau Oberkommissarin, danke für die zweite Leiche«, begann Dr. Wuppermann und erhob
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