Die Kälte in dir (German Edition)
sich.
»Nicht, dass Ihnen langweilig wird«, erwiderte Reitmeier, und am Tonfall der beiden wurde deutlich, dass sie sich nicht leiden konnten.
Das versprach interessanter zu werden als angenommen.
Dr. Wuppermann ging zu den Seziertischen, schlug das Tuch über dem voluminösen Körper zurück und brachte das blasse Gesicht eines alten Mannes zum Vorschein. Der eingefrorene Schmerz, der in der zum Teil bereits aufgelösten Mimik noch zu erkennen war, versetzte Daniel einen Stich in die Brust. Er begann flach zu atmen.
»Egon Osswald«, eröffnete die Ärztin. »Ein stattlicher Mann jenseits der hundertfünfzig Kilo. Die DNA -Proben aus dem Badezimmer stimmen mit der des Opfers überein. Wir können davon ausgehen, dass der Tote mit dem Hausbesitzer identisch ist, was auch der Abgleich mit Osswalds Krankenakte bestärkt. Er ist an Herzversagen gestorben. Andernfalls hätte ihn der enorme Blutverlust durch die großflächigen Wunden umgebracht. Wie auch immer, der Angriff mit der Axt war die Todesursache, auch wenn kein einziger Hieb für sich tödlich gewesen ist. Aufschlussreicher könnte sein, was post mortem passiert ist.« Dr. Wuppermann zog das Leichentuch bis zu den Oberschenkeln herunter.
Daniel hätte sich eine Vorwarnung gewünscht. Nun war der leere Magen ein Segen. Trotzdem konnte er den Würgreflex nicht unterdrücken und klammerte seine Hände um das Waschbecken am Fußende des zweiten Seziertischs.
Beide Frauen drehten sich nach ihm um.
»Geht schon«, sagte er und versuchte, Haltung zu bewahren.
»Er ist nur der Fahrer«, erklärte die Kommissarin.
Dr. Wuppermann lenkte die Aufmerksamkeit zurück auf die Leiche und zeigte auf das, was vom Bauch des Opfers übrig war. Es sah aus, als hätte der alte Mann Harakiri begangen, dabei mehrmals vergebens angesetzt und seinen Unterleib dilettantisch in Fetzen geschnitten.
Auch die Kommissarin bekam eine weiße Nase. »Wozu?«, kam es leise über ihre Lippen.
»Ich bin noch nicht dahintergekommen. Egon Osswald war unverhältnismäßig übergewichtig. Er hatte bereits mehrere Bypässe und seine Leber ist stark verfettet. Ein langes Leben wäre ihm ohnehin nicht beschieden gewesen. Doch worauf ich hinaus will … gemessen am Körperbau und seinem Hosenbund, ist bei der Leiche zu wenig Bauchumfang vorhanden. Selbst wenn ich die fortgeschrittene Verwesung berücksichtige. Im Vergleich zum Muskelgewebe wäre der Zerfall der Fettzellen extrem schnell fortgeschritten und widersprüchlich zur Menge der vorhandenen Epidermis.« Sie zeigte auf die schlaffen, zerfetzten Hautlappen, die über der Bauchwunde hingen. »Wenn ich diese zusammenfüge …« Beim Blick in die Gesichter ihrer Zuhörer verzichtete sie auf eine Demonstration und beließ es bei einer simplen Zusammenfassung: »Kurz gesprochen, es fehlt ein Teil des Bauchfetts.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, raunte Reitmeier, und ihr Blick suchte für einen Wimpernschlag den Daniels, als wolle sie eine Bestätigung dafür, dass auch er die Aussage der Pathologin für absurd hielt.
Dr. Wuppermann zuckte mit den Schultern. »Sie sind die Ermittlerin. Die Kollegen der Forensik haben das fehlende Viszeralfett jedenfalls nicht gefunden.«
»Vorstellbar, dass irgendwelche Tiere es gefressen haben?«
»Unwahrscheinlich. Kaum Fraßspuren. Die Aasfresser mögen lieber die wohlschmeckenden Organe. Nein, da war ein Mensch am Werk. Der Mörder hat dazu eine nicht besonders scharfe Klinge benutzt. Vielleicht ein Schere aus der Gartenlaube? Ich habe winzige Spuren von Pflanzenresten und Düngemittel in den Wunden entdeckt.«
»Wir haben keine Gartenschere sichergestellt.«
»Nun, dann hat der Täter sie mitgenommen. Zusammen mit dem Fett.«
Daniel verspürte plötzlich den Drang zu flüchten. Seine Hände krallten sich um den Rand des Spülbeckens.
Dr. Wuppermann wandte sich dem anderen Opfer zu, ohne das grüne Leichentuch zu lüften. »Das erspare ich Ihnen besser.«
Auch im Blick der Kommissarin lag Dankbarkeit.
»Das Opfer war männlich und ist nicht durch die Flammen gestorben. In seiner Lunge fehlen die Ascherückstände, die er unweigerlich eingeatmet hätte. So gesehen war es für ihn ein Segen, nicht bei lebendigem Leib verbrannt zu sein. Was nichts daran ändert, dass er gewaltsam ums Leben gekommen ist. Der Schädel ist zertrümmert. Die Verletzung könnte auch von einem Sturz aus größerer Höhe herrühren, wofür das gebrochene Handgelenk sowie der Schlüsselbeinbruch sprechen. Das Feuer hat
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