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Die Kälte in dir (German Edition)

Die Kälte in dir (German Edition)

Titel: Die Kälte in dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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Hühnerblut besprenkelt war. Ihre Sandalen und die nackten Zehen waren mit Kuhmist verschmiert. Zumindest hielt Kristina es dafür. Der stechende Geruch eines Misthaufens hing ihr bereits seit der Ankunft in der Nase.
    Kristina musste sich räuspern, um sicherzugehen, dass sich ihre Stimme nicht vor Schreck verflüchtigt hatte. »Reitmeier, Kripo Waiblingen«, stellte sie sich vor und suchte den Blick der Bäuerin.
    Blasse blaue Augen musterten sie abwartend.
    Sie wusste, dass ich komme.
    Ihr Mann musste es ihr angekündigt haben. Das Haar der Frau hatte dieselbe Farbe wie der Weizen, der hinter dem Hof bis hin zum Waldrand wuchs. Sie trug es streng nach hinten gekämmt und zu einem Zopf geflochten. Neben den dicken Bluttropfen prangten zahllose Sommersprossen in ihrem runden Gesicht. Ihre blasse Haut war rot von zu viel Sonne, und auch sonst hatte die harte Arbeit auf dem Bauernhof Spuren hinterlassen. Genau wie beim Ehemann. Mit der Axt in der Hand machte sie ihrem Namen alle Ehre.
    »Sind Sie Frau Mezger?«
    »Mein Mann ist nicht da«, kam es in sächsischem Dialekt zurück.
    »Dann rede ich mit Ihnen.«
    Die Bäuerin ging an Kristina vorbei, packte das Huhn an den Beinen und hob es hoch. Ein letzter Schwall Blut schwappte auf den Boden. Ohne sich umzudrehen ging sie voraus über den Hof. Kristina folgte ihr bis in die Milchküche. Dort legte die Bäuerin das tote Geflügel in ein großes Spülbecken, wusch sich die Hände und – mithilfe eines kleinen, angelaufenen Spiegels über dem Wasserhahn – danach das Gesicht.
    »Frau Mezger, wie gut kannten Sie Egon Osswald?«, fragte Kristina, nachdem sich die Frau zu ihr umgedreht hatte.
    »Nennen Sie mich Doreen.« Sie wischte sich ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht. »Gar nicht. Ich habe ihn im Jahr vielleicht zweimal gesehen, wenn es hochkommt. Er war niemand, der unter Leute gegangen ist.«
    »Sie waren nie auf seinem Anwesen?«
    »Er hielt es nicht für nötig, uns einzuladen«, antwortete sie nach kurzem Zögern abfällig.
    »Hatte er sonst Besuch?«
    »Abgesehen von der Putzfrau und dem Lieferservice, der ihm sein Essen brachte, kann ich mich an kein anderes Auto erinnern. Aber es ist ja nicht so, dass ich den ganzen Tag nichts anderes zu tun hätte, als übers Feld zu glotzen.«
    »Warum glauben Sie, ist er hier in diese Einöde gezogen?« Es war zu spät, das Wort
Einöde
zurückzunehmen, und Kristina hoffte, die Bäuerin würde ihr den Begriff nicht übelnehmen. Sie meinte es nicht so abwertend, wie es in den Ohren von Doreen Mezger klingen mochte. Ihre bayerische Mentalität schaffte ab und an Hürden.
    »Wegen der frischen Luft, nehme ich an.« Die blonde Frau lächelte schmal. »Wir leben abseits, aber nicht hinterm Mond. Wenn er Grund hatte, sich zu verstecken, hätte er es besser mit Chile probiert.«
    »Hat sich mal jemand bei Ihnen nach Osswald erkundigt?«
    Doreen schüttelte den Kopf, aber das konnte auch heißen, dass sie nicht darüber reden wollte. Der Alte hatte in der Umgebung keinen guten Stand gehabt. Vielleicht war es einfach besser gewesen, man ging ihm aus dem Weg, wenn man nicht ebenfalls ausgegrenzt werden wollte.
    »Wer hat sich um Osswalds Garten gekümmert?«
    Doreen Mezger übernahm die Geste ihres Mannes und zuckte mit den Schultern. »Irgendeiner aus Stuttgart.«
    »Sind Sie diesem Mann mal begegnet?«
    »Ich habe ihn nur von Weitem gesehen. Nicht so, dass ich ihn beschreiben könnte. Ein kräftiger Kerl in grünen Gummistiefeln, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Er kam nicht besonders häufig.«
    »In den letzten drei Wochen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn schon länger nicht mehr rumschleichen sehen. Er wirkte ohnehin nie besonders motiviert. Die Arbeit hätte mein Mann für das gleiche Geld weit besser erledigt«, lamentierte sie. »Aber wir im Dorf waren dem Herrn ja nicht gut genug.«
    »Sie klingen nicht wie jemand, der in der Gegend geboren ist«, stellte Kristina fest.
    »Ich bin lange genug hier, glauben Sie mir.« Sie drehte sich wieder zu dem Spülbecken um und ließ heißes Wasser über das Huhn laufen.
    Aus dem Stall waren jetzt deutlich die Kühe zu hören.
    »Ich war fünfzehn, als wir aus Leipzig in dieses Kaff zogen. Nachdem drüben alles den Bach runterging und mein Vater seine Arbeit verlor, meinte er, hier seine Bestimmung zu finden. Es ist nie wirklich was daraus geworden. Trotzdem blieben wir und ich habe es gehasst. Aus der Großstadt aufs Land. Die Leute, dieses Häuslebauertum und das

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