Die Kälte in dir (German Edition)
einer Vernissage, um genau zu sein. Irgendetwas mit Architektur.«
»Und du hast die Gästeliste?«, raunte Kristina anerkennend.
Der Kriminaltechniker nickte und zauberte gleichzeitig einen Zettel hervor. »Die Liste ist, Gott sei’s gedankt, überschaubar, zumal die gelben Bänder nur an VIP s ausgegeben wurden, wie der Veranstalter versicherte. Wir haben schon ein bisschen rumtelefoniert, und es ist uns gelungen, den Kreis der Personen einzudampfen. Nur vier von den elitären Gästen konnten wir bislang nicht erreichen.«
»Weil einer von ihnen womöglich verbrannt ist«, folgerte sie, um gleich darauf nachzuhaken: »Warum meinst du, dass das Ding von unserer Leiche ist?«
»Manchmal muss man auch Glück haben. Beim Abreißen des Armbands sind Hautpartikel daran haften geblieben. Der DNA -Schnelltest war eindeutig. Sie stimmt mit dem Toten im Container überein.«
5
Aus dem Stall drang leises Muhen, Schnauben und Scharren. Vorsichtig betrat Kristina den Hof, in der Hoffnung, dass der Hund an der Kette lag. Sie konnte nicht gut mit Hunden. Sie war noch sehr klein gewesen, als sie gebissen worden war.
Ein vierjähriges Mädchen, von einem Hund angefallen.
Heute würde sie damit in die Zeitung kommen. Damals gab es eine Tetanusspritze vom Hausarzt und eine bleibende Narbe am linken Oberarm. Der Köter blieb unbehelligt. Vor dreißig Jahren hatte man besser dem Kind die Schuld gegeben. Niemand wollte Ärger mit dem Nachbarn. Dass dieser Angriff das Kind traumatisiert hatte, war für ihre Eltern unvorstellbar. Ein abwegiger Gedanke. Deshalb hatten sie nicht einmal darüber nachgedacht, mit Kristina zu einem Therapeuten zu gehen. In ihrer Familie war der gängige Weg die Verdrängung.
Kristina blickte über die Schulter. Für eine Sekunde wünschte sie sich, Wolf wäre nicht im Auto geblieben, so wie sie es ihm aufgetragen hatte. Der Dienstwagen parkte vor der Einfahrt, wo das Maisfeld begann. Durch die Spiegelung in der Windschutzscheibe konnte sie erahnen, dass Wolf den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen hatte. Er hatte sich nicht beschwert, als sie um halb sieben bei ihm anrief. Als er eine gute halbe Stunde später ihr Büro betreten hatte, hatte er übernächtigt ausgesehen. Sie war froh gewesen, keinen Alkohol in seinem Atem gerochen zu haben. Sein wortkarges Verhalten lag nicht an einer durchzechten Nacht. Vermutlich hatte seine berufliche Situation den Schlaf ferngehalten. Sie musste sich bald mit ihm darüber unterhalten, warum er ihr zugewiesen worden war.
Ein Schrei unterbrach die Gedanken an Daniel Wolf.
Kristina zuckte zusammen. Ihre Hand legte sich auf die Pistole. Zwischen dem Hauptgebäude und der Stallung gab es einen überdachten Durchgang, der im Schatten lag. Von dort war der unmenschliche Laut gekommen.
Es folgte ein dumpfer Schlag, nach dem bedrückende Stille einkehrte.
Kristina schluckte und beschloss, ihre Dienstwaffe im Halfter zu lassen. Ihr Blick wanderte über den Hof. Die Hundehütte stand in der gegenüberliegenden Ecke. Die Kette verschwand in dem uneinsehbaren Loch des Bretterverschlags. Selbst auf die Entfernung konnte Kristina die fetten Schmeißfliegen erkennen, die ihren wirren Reigen darüber tanzten.
Sie hätte nach Wolf rufen können, aber ihre Stimme würde womöglich den Hund aus seiner Hütte locken. Daher ging sie schweigend zu dem Durchgang, und der grobe Kies knirschte unter ihren Sohlen.
Kristina war noch fünf Schritte davon entfernt, als etwas daraus hervorschoss. Ihr Herz setzte zwei Schläge aus, dann erkannte sie, was auf sie zustürmte. Ein Huhn. Die Einsicht minderte den Schrecken nicht. Dem Federvieh fehlte der Kopf. Blut spritzte aus dem Hals des Tiers und hinterließ eine deutliche Spur auf den hellen Steinen. Der Vogel rannte knapp an Kristinas Schuhspitzen vorbei, schaffte noch drei Meter und fiel dann einfach um. Die gelben Beine traten ein paarmal in die Luft, und jeder Tritt pumpte eine hellrote Fontäne aus dem zerfetzten Kragen. Dann war es vorbei, und Kristina holte wieder Luft.
»Ist mir entwischt«, sagte jemand hinter ihr, was ihr den nächsten Schreck bescherte.
Sie wirbelte herum.
Die Frau hatte Blutspritzer im Gesicht und eine Axt in ihrer Rechten, ähnlich der, die Egon Osswald zum Verhängnis geworden war. Doch im Blick der Frau lag nichts Bedrohliches, sondern Überraschung über Kristinas Auftauchen. Ihr schlanker Körper steckte in einer Latzhose, darunter trug sie ein rosafarbenes T-Shirt, das ebenfalls mit
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