Die Kälte in dir (German Edition)
produzieren, die den pH-Wert des Bluts stark senken. Das Gehirn wird angegriffen, das Handeln gegebenenfalls irrational beeinflusst. Im äußersten Fall kommt es zum Coma diabeticum. Danach, und falls keine Behandlung anschlägt … Exodus.«
»Wie oft kommt so etwas vor?«
»Das ist nicht so ungewöhnlich. Ich meine nicht, dass Leute daran sterben. Das ist, wie gesagt, das schlimmste Szenario. Aber in Deutschland leiden etwa fünf Prozent der Erwachsenen jenseits der vierzig unter dieser oder ähnlichen Störungen. In den meisten Fällen ist die Krankheit genetisch bedingt und bricht in der zweiten Lebenshälfte aus. Es gibt allerdings mittlerweile sehr gute Behandlungsmethoden.«
»Gibt es Ausnahmen, bei denen eine Therapie nicht anschlägt?«
»Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich kenne keinen solchen Fall«, erwiderte er.
»Und theoretisch? Ist ein Wiederauffüllen der Fettzellen durch einen operativen Eingriff denkbar?«
Er sah sie nachdenklich an. »Ich habe das in der Zeitung gelesen. Ihr Täter entnimmt seinen Opfern Fettgewebe.«
»Wir wissen nur nicht, wozu«, erklärte Kristina. »Haben Sie eine Theorie?«
»Dieser Aufwand ist … Bedenken Sie, dass nur sehr wenige Zellen transplantiert werden können. Bei einer durch das Morbus-Basedow-Syndrom hervorgerufenen Stoffwechselstörung kämen Sie mit den Injektionen nicht hinterher«, erklärte er seltsam entrückt, als spräche er über sie hinweg mit jemandem, der außerhalb ihrer Wahrnehmung stand. Unbewusst griff er nach einem Kugelschreiber, den er zwischen den Fingern kreisen ließ. »Nach dem, was ich gelesen habe, scheinen mir das die Taten eines Geisteskranken zu sein. Eine medizinische Absicht dahinter zu sehen, halte ich für sehr gewagt.«
»Ist das Ihre fachliche oder persönliche Meinung, Dr. Lorenz? Es gibt Theorien, nach denen auch Jack the Ripper aus medizinischem Interesse heraus gemordet hat. Ich glaube sehr wohl, dass Sie so einen Patienten in Ihrer Kartei führen!«
Das Schreibgerät knackte verdächtig zwischen seinen Fingern. »Das ist Unsinn! Hören Sie, ich muss mich jetzt um diesen leidigen Einbruch kümmern, bevor die ersten Patienten auftauchen.«
Kristina stand abrupt auf und beugte sich ihm entgegen über den Schreibtisch. »Sie wissen, wem Sie den Diebstahl Ihrer Patientenakten zu verdanken haben, nicht wahr?«
Im Labor war nur eine zierliche junge Frau mit einer viel zu großen Sichtschutzbrille auf der schmalen Nase. Ihr schwarz gefärbtes Haar war kurz geschnitten und zu Stacheln gegelt. Sie reichte der Kommissarin nur knapp bis zum Kinn.
»Hannes ist nicht da«, verkündete sie, nachdem sie ihnen die Tür geöffnet, sie durch eine Schleuse geführt und Kristinas Dienstausweis akribisch genau geprüft hatte.
Daniel hatte eine Weile gebraucht, um die Straße wiederzufinden. Nachts bot die Stadt ein anderes Bild. Kristina hoffte, dass er sich in seinem angetrunkenen Zustand nicht irgendetwas zusammengereimt und eingebildet hatte.
Das Labor war ein großer Raum, der durch mehrere Regale in Sektionen unterteilt war. Ein weiterer, hermetisch abgeriegelter Durchgang im hinteren Teil führte zu einer abgetrennten Sektion. Alles wirkte relativ neuwertig. Eine Klimaanlage surrte direkt über ihren Köpfen und blies eisige Luft über Kristinas nackte Schultern, was ihr wie üblich Unbehagen bescherte. Ansonsten sah es nicht viel anders aus als bei Sampo. Nur die Geräte wirkten moderner, und es gab drei Arbeitstische, auf denen sich Apparate und fragil wirkende Versuchsanordnungen abwechselten.
»Und wer sind Sie?«, fragte Kristina die junge Frau in ihrem zwei Nummern zu großen Kittel.
»Ich bin die biotechnologische Assistentin, zweites Lehrjahr.«
Kristina konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. »Haben Sie auch einen Namen?«
»Franka Steffen«, stellte sie sich vor.
»Sie arbeiten allein hier?«
Es gab Zentrifugen, Brutschränke und Mikroskope, die mit Rechnern verbunden waren, aber keine Techniker und Laboranten, die an ihnen arbeiteten. Franka Steffen blickte über die Schulter, als müsse sie sich vergewissern, dass tatsächlich niemand anderes im Labor war. »Schlechte Auftragslage«, kommentierte sie trocken. »Und jetzt muss ich zurück zu meiner Versuchsreihe, bevor mir die Eiweißmoleküle zerfallen.«
»Wo ist Ihr Chef, Frau Steffen?«, hielt Kristina sie zurück.
Sie zog die Winkel ihres grell geschminkten Mundes nach unten. »Kam heute nicht.«
»Kommt das öfter vor, dass er Sie allein hier
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