Die Kaempferin
ein leises Murmeln, kaum mehr als ein Flüstern und durchsetzt von einem Schmerz, den ich nicht verstand. »Ich bin vergessen.«
Eine Zeit lang verharrten wir schweigend.
Dann trat ich vor, griff nach dem Fluss, tauchte tief hinein, bevor ich ihn packte und eine hohle Leitung schuf, die sich vom Weißen Feuer in meinem Innersten bis zu Ottul erstreckte. Sie blieb mit geneigtem Haupt auf den Knien. Ottul hatte den Fluss nicht berührt und keinen Schild errichtet, um sich zu verteidigen. Sie war völlig ungeschützt.
Der Fluss roch nach Angst und Anspannung, nach Schweiß und Meer. Doch ich entdeckte keine Heimtücke, keine Bedrohung. Ottul war grau.
Als der Strudel, den ich geschaffen hatte, sie berührte, schnapptesie nach Luft, bewegte sich aber nicht. Ich zwang das Feuer durch die Leitung. Als ein kleiner Teil sie erreicht hatte, trennte ich die Verbindung mit einem Klingenwirbel.
Abermals schnappte Ottul nach Luft. Sie hob den Kopf und starrte mich an. Tränen funkelten in ihren geweiteten Augen, und ihre Miene wirkte zutiefst ehrerbietig. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich sie mit dem Feuer berührt hatte, mit dem Himmelsfeuer.
Mit Queotl.
»Regentin«, flüsterte sie.
Ich hatte vorgehabt, mich in das Feuer in ihrem Innersten zu versetzen, um zu fühlen, was sie fühlte, um die Wahrheit darüber herauszufinden, ob wir ihr vertrauen konnten, doch als ich ihr in die Augen sah und dieses eine Wort vernahm, wusste ich, dass es nicht notwendig war.
Die nächsten Tage an Bord des Schiffes verliefen trübsinnig und angespannt. Bullick hatte die kleine Flotte auf Kurs Richtung Venitte gebracht und rechnete damit, den Hafen binnen einer Woche zu erreichen, sofern das Wetter gut blieb. Alle an Deck achteten wachsam auf den Horizont, hielten ständig Ausschau nach weiteren Chorl-Schiffen. Sogar Tristan auf der Verlässlich hatte die Aufmerksamkeit nach außen gewandt und richtete das Fernrohr nicht mehr so oft auf die Trotzig .
Bullick sorgte dafür, dass die Besatzung beschäftigt blieb, indem er sie neue Relings bauen ließ, während der Schiffszimmermann sich den Schäden am Rumpf unter Deck widmete. Wir waren schlimmer in Mitleidenschaft gezogen worden, als es zunächst den Anschein gehabt hatte, als die Kriegsbeute vorbeigeschrammt war und sich anschließend das Chorl-Schiff an derselben Seite festgezurrt hatte. Dennoch konnte der Schiffszimmermann sämtliche Schäden beheben. Einige der Gardistenhalfen ihm, während die Besatzungsmitglieder sich von den anderen Gardisten Kniffe beim Kampf mit Schwertern und Äxten zeigen ließen. Waren die Besatzung und die Gardisten vor dem Gefecht noch für sich geblieben, mischten sie sich nun untereinander, redeten und arbeiteten zusammen.
Drei Tage vor unserer Ankunft in Venitte lehnte ich auf der Reling des Achterdecks, beobachtete müßig das schäumende Fahrwasser des Schiffes und fragte: »Woran glaubst du, Keven?«
Mein allgegenwärtiger Leibwächter trat verlegen von einem Bein aufs andere. Hinter uns hatte einer der Matrosen eine Fiedel an Deck gebracht und spielte einsame, traurige Weisen. Einige Gardisten hielten inne, um ihm zu lauschen.
»Ich glaube an alles, woran Amenkor glaubt«, antwortete Keven, nachdem er lange nachgedacht hatte. »Ich glaube an die Regentin.«
Ich drehte mich um in der Erwartung, einen verschmitzten Ausdruck in Kevens Gesicht zu sehen, ein schelmisches Funkeln in seinen Augen, doch sein Blick war fest, und die Linien um seinen Mund zeugten von Ernst.
Ich war verwirrt und fühlte mich plötzlich unbehaglich.
»Du glaubst nicht an den Geisterthron?«
Er zuckte mit den Schultern. »Der Geisterthron und die Regentin sind dasselbe. Der Thron ist lediglich ein Symbol ihrer Macht.«
»Aber der Thron ist tot.«
»Und Ihr seid es nicht. Die Bevölkerung von Amenkor bekommt den Thron nie zu Gesicht. Für sie ist er tatsächlich nur ein Symbol, eine Geste, die sie vor der Brust schlagen, ein Zeichen, das sie auf der Stirn eines Toten sehen, nachdem Ihr ein Urteil über ihn gesprochen habt, das von den Suchern vollstreckt wurde. Was für sie wirklich ist, was sie praktisch jeden Tag sehen – das seid Ihr. Ihr bewegt Euch durch die Straßen, ihr geht sogar hinunter zum Siel und zu den Elendsvierteln dahinter. Ihr steht auf dem Kai oder auf dem Marktplatz und sprechtmit leiser Stimme. Dennoch hört Euch jeder, so wie hier auf dem Schiff während der Verabschiedung. Die Menschen sehen Eure Macht, haben sie mit eigenen Augen bezeugt.
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