Die Kaempferin
Glaubt nicht, dass sich der Kampf im Thronsaal zwischen Euch und der Ochea nicht herumgesprochen hat. Die Gardisten haben ihn mit angesehen. Man erzählt sich Geschichten darüber auf den Straßen. Für die Menschen seid Ihr die Macht. Sie und ich glauben an Euch , nicht an einen Steinklotz, der in einem leeren Saal steht.«
Ich blickte wieder auf den weißen Schaum des Fahrwassers und dachte über Kevens Worte nach, über die Wahrheit, die ich aus seinen Äußerungen herausgehört hatte, und die Überzeugung, die darin mitschwang. Und ich dachte daran, was ich in Ottuls Augen gesehen hatte, als sie zu mir aufgeblickt hatte, sobald das Feuer in ihrem Innersten brannte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder sprechen konnte, und selbst da klang meine Stimme noch rau und leise. Ich konnte mich nicht überwinden, Keven ins Gesicht zu sehen, und starrte stattdessen hinunter auf das schäumende Meer und die sanften Wellen.
»Ich habe nicht an die Regentin geglaubt«, gestand ich. »Früher. Am Siel. Ich habe sie gefürchtet. Oder eher ihre Gardisten und ihre Sucher, weil sie eine Gefahr für mich waren. Ich hatte nur Verachtung für sie übrig. Die Regentin war so … so fern, so weit weg. Sie konnte mir nicht helfen, zu überleben, konnte mir kein Essen, keine Kleider, keine Wärme bieten. Deshalb habe ich sie verabscheut. Aber andere am Siel glaubten sehr wohl an sie und daran, dass die Regentin über sie wacht und sie beschützt. Manchmal bin ich ihnen in den Gassen begegnet, wo sie Gebete zu ihr flüsterten, selbst wenn sie im Sterben lagen. Ich hingegen hatte keine Zeit für sie. Ich konnte das Vertrauen nicht begreifen, das die Leute in sie gesetzt haben. Und ich verstehe es immer noch nicht, obwohl ich mittlerweile selbst die Regentin bin und erfahren habe, dass die Leute auf sonderbare Weise recht hatten.Die Regentin wacht tatsächlich über sie, nur nicht so … persönlich, wie sie vermutlich dachten. Dafür sind die Sucher da – um zu beschützen und Gerechtigkeit zu üben.«
Ich zog den Dolch und starrte auf die Schneide. Der Griff lag flach in meiner Handfläche, und die Spitze ruhte an der Kuppe eines Fingers der anderen Hand. Es war eine schlichte Klinge ohne Gravur und ohne ledergebundenen Griff. Nur kalter Stahl. Nach dem Kampf gegen die Chorl hatte ich die Waffe gründlich gereinigt, wie Erick es mir beigebracht hatte. Ich hatte das Blut davon abgewaschen, so wie die Seeleute es vom Deck geschrubbt hatten.
»Aber selbst diese kleine Erkenntnis hat mich erst später ereilt. Am Siel glaubte ich an gar nichts. Jedenfalls nicht, bis ich den Mann getötet habe, der mich vergewaltigen wollte. Nicht, bis Erick aufgetaucht ist. Und danach glaubte ich an das hier.« Grimmig hob ich den Dolch. Eine Wolke schob sich vor die Sonne und tauchte das Schiff in Schatten, ehe die Klinge im hellen Licht funkeln konnte. Doch auch so wirkte sie tödlich, glatt und scharf und voller Stärke. Und Stärke hatte ich damals gebraucht.
»Aber?«, hakte Keven nach.
Ich hörte Verständnis in seiner Stimme, als wüsste er meine Antwort bereits, als hätte er irgendwann für sich dieselbe Antwort gefunden. Vielleicht stimmte das sogar. Immerhin trug er ein Schwert.
»Aber dann habe ich Blutmal getötet.« Kurz sah ich Keven an; dann schaute ich wieder weg, verzog das Gesicht und seufzte. »Nein. Es war nicht Blutmals Tod, der mich verändert hat. Es war Carls Tod.«
Ich dachte, Keven würde mich verurteilen, doch er sagte nichts, nickte nur knapp.
»Ich weiß nicht, woran ich danach glaubte«, fuhr ich fort. »Auf den Dolch habe ich mich weiterhin verlassen, um Borund zu beschützen und zu überleben, aber ich habe nicht mehr darangeglaubt. Ich habe auch nicht das Bedürfnis verspürt, an irgendetwas zu glauben, doch ich hatte das Gefühl, dass es mehr geben sollte, etwas … Besseres.« Ich suchte noch einen Augenblick nach den richtigen Worten, um zu verdeutlichen, was ich meinte; dann gab ich es auf und ließ die Schultern sinken.
»Aber jetzt sind wir den Chorl begegnet und wurden wegen eines Glaubens von ihnen angegriffen. Nach allem, was Ottul in den vergangenen Tagen gesagt hat – und dem, was ich von der Ochea erfahren konnte, bevor ich sie getötet habe –, glauben die Chorl an das Weiße Feuer. Sie glauben aufrichtig daran, dass es dieses Feuer ist, das sie suchen, nachdem sie sterben.«
»Und ich kann verstehen, weshalb«, sagte Keven leise. Nun war er derjenige, der aufs Wasser starrte, während seine
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