Die Kaempferin
Besorgnis in Zorn umschlug.
»Er wird die Nacht nicht überleben«, erklärte Isaiah.
Er brauchte nicht zu benennen, wen er meinte. Ich warf ihm einen hasserfüllten Blick zu, doch der Heiler zuckte mit keiner Wimper.
Das Protektorat führte uns hinauf durch die Straßen von Venitte, über Kopfsteinpflaster und Steinplatten und weitläufige, offene Kreuzungen mit Springbrunnen oder Statuen in der Mitte. Das Wasser funkelte im matten Licht kaum sichtbar; es war vorwiegend zu hören. Die Steinbildnisse von Männern und Frauen, von Pferden und Löwen und anderen Tieren wurden von scharfen, flackernden Schatten überzogen, als wir daran vorbeigingen. Die meisten Straßen waren verwaist, da es zu spät für die meisten Bürger Venittes war, um sich noch herumzutreiben. Die wenigen, die noch unterwegs waren, wichen beiseite, als wir uns näherten, und beobachteten den Tross mit neugierigen Blicken. Zumeist handelte es sich um Männer mit Hemden und Hosen, aber mehr Schnallen, als man in Amenkor trug. Viele Hosen endeten an den Knien; darunter waren Strümpfe zu sehen, wie Isaiah sie trug. Die wenigen Frauen, die wir sahen, kleideten sich in weite Gewänder, deren Stoff in feinen Falten von den Schultern hing und um die Mitte gegürtet war, ergänzt um lange Röcke und Sandalen. Die Aufmachung ähnelte der, die man in Amenkor antraf, war jedoch etwas anders geschnitten. Die Frauen trugen das Haar zurückgekämmt und zusammengebunden oder hatten es mit dünnen Stöckchen festgesteckt.
Die Gebäude bestanden aus grau-weißem Stein statt aus dem grauen Granit, dem eierschalenfarbenen Stein oder den Lehmziegeln Amenkors. Außen wiesen sie mehr Säulen und eine ganz allgemein verspieltere Bauweise auf. Die Häuser waren breit und klein, und die schmalen, hohen Fenster waren oben und unten zu Bogen gewölbt. Die Eingänge waren breit und nur oben gewölbt. Die meisten Bauwerke besaßen Stufen an der Vorderseite; viele hatte auch runde, in die Giebel der Dächer eingelassene Fenster. Sie erinnerten mich an die Gebäude im zweiten Kreis von Amenkor, wie beispielsweise das Haus der Händlergilde. Nur schien es diese Gebäude hier überall zu geben. Außerdem waren sie hier größer, altehrwürdig und auf seltsame Weise Ehrfurcht gebietend.
Ich schauderte.
Das Protektorat blieb vor einer Mauer stehen, die mindestens doppelt so hoch aufragte wie ich. Darin prangte ein Tor mit Eisengitter, kunstvoll zu einem Rankenmuster gearbeitet. Durch die Stäbe konnte ich ein weiteres Gebäude aus weißem Stein erkennen, das an einem kleinen Hof lag.
Während sich jemand daranmachte, das Tor zu öffnen, näherte sich mir General Daeriun. »Dies ist Eure offizielle Unterkunft während Eures Aufenthalts in Venitte. Für Bedienstete wurde gesorgt. Die Kasernen für Eure Männer befinden sich links hinter dem Haupthaus neben einem kleinen Übungshof und den Stallungen. Falls Ihr etwas braucht, teilt es bitte dem Verwalter mit.«
Ich legte eine Hand auf Ericks Arm. »Und Fürst Sorrenti?«
Daeriun senkte den Blick auf Ericks bleiches Antlitz. »Ich werde ihm Euer Gesuch mit Fürst Marchs Erlaubnis mitteilen.«
Damit wandte er sich ab, und die Männer des Protektorats teilten sich vor dem offenen Tor.
Die Lippen vor Zorn zusammengepresst, führte ich die Gruppe aus Amenkor auf das Anwesen und überquerte rasch den Kreis aus weißem Stein zwischen dem Tor und der Treppe des Hauptgebäudes. Dabei bemerkte ich das Gras und die in nächtliche Schatten getauchten Gärten zu beiden Seiten sowie einen weiteren Pfad, der links um das Haus herumführte. Am Kopf der Stufen sah ich eine kleine, wartende Gruppe.
Eine Hand am Dolch, meine Wut wie einen Schild vor mir her tragend, blieb ich vor einem schlanken Mann in hellbraunen Gewändern und Sandalen stehen. Er hatte eine ausdruckslose Miene aufgesetzt. Seine Züge waren dunkel, ein wenig exotisch und scharf geschnitten. Er trug einen Bart und sehr kurz geschnittenes Haar, das fast bis zur Kopfhaut gestutzt war.
Der Mann verneigte sich. Sein Blick huschte flüchtig zu Ottul, dann wieder zu mir. »Ich bin Alonse, Oberhaupt der Hausbediensteten. Für die Dauer Eures Aufenthalts in Venittewerde ich Euch in allen Belangen als Euer Verwalter dienen. Fürst March hat dieses Anwesen zum Hoheitsgebiet Amenkors erklärt und überlässt es Eurer Verwendung, Regentin.«
»Und können wir es verlassen?«
Er bedachte mich mit einem schmalen, gequälten Lächeln. »Noch nicht, Regentin. Fürst March ersucht Euch
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