Die Kaempferin
weiteren Hieb erhoben – und nicht bemerkt, dass Keven hinter ihm stand, die Hand mit weiß hervortretenden Knöcheln auf dem Schwertgriff, zwei Zoll des scharfen Stahls bereits gezogen. Doch nun hielt er inne. So wie Keven.
Erick sog erneut die Luft ein, und noch einmal …
Dann sank er auf die Pritsche zurück, schlug nicht mehr um sich und verkrampfte sich nicht mehr.
Stille kehrte ein. Niemand sprach. Laute, abgehackte Atemzüge bildeten das einzige Geräusch, während Brustkörbe sich heftig hoben und senkten. Einer der Seeleute hustete, hob eine Hand, um sich über den Mund zu wischen, und zuckte zusammen, als er dabei den Bluterguss auf seiner Wange berührte.
Es dauerte lange, bis Isaiah schließlich den Arm sinken ließ. »Ich glaube, es ist vorbei.«
Mit einem fast hörbaren Seufzen floss die beklommene Anspannung aus der Kabine ab. Kevens Klinge wurde mit einem Klicken zurück in die Scheide geschoben, und Isaiah drehte sich um, als hätte er sie eben erst bemerkt. Er schleuderte Keven einen verächtlichen, finsteren Blick zu.
Keven wirkte keineswegs reumütig. Aus seinen Augen sprachimmer noch Zorn, und seine Hand entfernte sich nicht vom Schwertgriff.
»Was ist geschehen?«, wollte ich wissen.
»Er hatte einen Anfall.«
Ich holte tief Luft. Die Angst, die mich gerade noch erfüllt hatte, wandelte sich in eine Wut ähnlich der Kevens, doch ich zügelte sie und zwang mich zur Ruhe. »Warum?«
»Er stirbt«, antwortete der Heiler unverblümt. »Er ist seit Monaten untätig. Er wurde gefoltert, wird Euch zufolge immer noch gefoltert, und sein Körper gibt allmählich auf. Wenn er nicht binnen der nächsten Tage von diesem Bann befreit wird, überlebt er nicht, egal was wir tun.«
Ich blickte Isaiah in die Augen, forschte in deren Tiefen, berührte sogar den Fluss.
Was ich darin erblickte, ließ mich ernüchtern und die Zähne zusammenbeißen.
Dann wirbelte ich auf dem Absatz herum, eilte über den Gang und stieg die Leiter hinauf zum Deck, wo frühabendlicher Sonnenschein herrschte. Ich ließ den Blick über die Besatzung schweifen und entdeckte Kapitän Bullick in der Nähe des Bugs.
»Venitte«, sagte ich ohne Umschweife und fiel Bullick ins Wort, der gerade mit einem seiner Matrosen geredet hatte.
»Ja, Regentin?«, gab er zurück und versteifte sich leicht.
Erst da erkannte ich, dass meine Hand auf meinem Dolch ruhte.
»Wie lange noch, bis wir Venitte erreichen?«
»Drei Tage.«
Ich schüttelte den Kopf. »Erick hat keine drei Tage mehr.«
»Aber die Chorl …«
»Ist mir egal«, schnitt ich ihm mit kalter, tödlicher Stimme das Wort ab. Ich konnte darin den Abschaum hören, das Gossenkind. Im Fluss baute sich Macht auf; die Strömungen wogten zornig. »Schafft uns in zwei Tagen nach Venitte. In höchstens zwei Tagen.«
Bullick erstarrte. Dann nickte er. »Ja, Regentin.«
Ich drehte mich um und kehrte zum Niedergang und zu meiner Kabine zurück. Hinter mir stieß Bullick scharf die Luft aus, ehe er Befehle rief.
Zwei Tage später näherte sich die Trotzig spätabends den Docks von Venitte, jener uralten Stadt, die ich bisher nur aus Träumen und den Erinnerungen anderer kannte. Sie zeichnete sich als Lichtschimmer über der Hafenmündung und den fernen Hügeln ab, ohne erkennbare Einzelheiten. Vor einer Stunde waren wir in den nördlichen Kanal eingefahren, der zum Hafen führte, und hatten die Flammen der Fackeln vor den Häusern und Anwesen beobachtet, die zu beiden Seiten in der Dunkelheit auf den hohen Felsen an uns vorbeizogen. Auch an Schiffen, die von Laternen erhellt wurden, kreuzten wir vorbei, antworteten jedoch nur dann auf Zurufe, wenn es notwendig war. Die Venitter ließen die Zufahrt zum Kanal von Patrouillenschiffen bewachen, und zunächst wurden wir schier unendlich lange aufgehalten, weil sie die drei uns begleitenden Chorl-Schiffe nicht vorbeilassen wollten, obwohl offensichtlich war, dass sich keine blauhäutigen Chorl, sondern nur Gardisten aus Amenkor an Bord befanden. Schließlich griff Tristan ein und machte geltend, was er in Venitte an Einfluss besaß, um alle fünf Schiffe an der Blockade vorbeizubringen.
Ich ging unruhig auf dem Deck auf und ab. Alle, sowohl Besatzungsmitglieder als auch Gardisten, hielten sich von mir fern. Die Lichter, die alle anderen an Bord in ihren Bann zogen, bemerkte ich kaum. Ich starrte nur mürrisch hinauf zu den Felsen. Die von Angst genährte Wut brodelte noch immer in mir. Als wir den nördlichen Kanal hinter uns ließen
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