Die Kaempferin
er die Stirn in Falten, und der Zorn, den ich bei seiner Ankunft wahrgenommen hatte, wurde von Neugier verdrängt. Alle warteten angespannt, abgesehen von Ottul. Marielle trat zu Heddan und berührte sie an der Schulter.
Dann öffnete Sorrenti jäh die Augen, richtete sich auf und sah mich über das Bett hinweg an.
»Die Chorl haben das getan?« Er drehte sich nicht um; dennoch konnte ich spüren, dass er Ottul wahrnahm.
Ich nickte. »Einer ihrer Priester. Ihr Oberpriester, Haqtl.«
Er schaute auf Erick hinunter, dann wieder zu mir. »Ich kann den Bann brechen, aber es wird viel Kraft und Macht kosten. Ist Euch das Leben dieses Gardisten so viel wert?«
Ich sah in Sorrentis Augen – wie auch an Avrells Stirnrunzeln –, dass es nicht nur an Kraft und Macht kostspielig werden würde. Dennoch zögerte ich nicht. »Ja.«
Sorrenti senkte leicht den Kopf. »Also gut.«
Abermals legte er die Hand auf Ericks Herz und schloss die Augen. Im Fluss spürte ich, wie sich Kraft sammelte, wie sich jene wilde Macht regte und der Fluss unter ihrer Gewalt erzitterte. Sorrenti verkniff die Züge, spannte die Kiefermuskeln an. Furchen der Anstrengung zeigten sich auf seiner Stirn und um seine Augen. Und immer noch baute sich die Macht auf, schwoll an, zog sich enger und enger, als er sie bündelte …
Dann entfesselte er sie.
Ich erwartete ein Schaudern, eine Woge, die vom Fluss nachaußen schwappte; stattdessen nahm ich eine schmale Klinge wahr, die unsichtbare Fäden des Bannes durchschnitt, mit dem Erick belegt worden war. Kraft strömte durch die Klinge, als der Schnitt erfolgte, und der Fluss kräuselte sich, mehr jedoch nicht.
Sorrenti zögerte kurz, als die geballte Kraft zurück in ihre üblichen Strömungen abfloss.
Dann wich er zurück.
»Es ist vollbracht.«
Seine Stimme zitterte ebenso wie seine Hände. Vorsichtig verschränkte er sie vor sich, damit niemand es bemerkte.
Auf dem Bett beruhigte sich Ericks abgehackter Atem, und die vor Schmerz verkrampften Muskeln entspannten sich leicht. Es waren geringfügige, aber sichtbare Veränderungen.
Mir brannten Tränen in den Augen, und ich zitterte. Doch wie Sorrenti versteckte auch ich mich hinter einer Maske der Ruhe und legte die Hände auf den Bettrand, um sie zu beruhigen.
»Danke«, brachte ich mit belegter Stimme hervor.
Sorrenti zog die Brauen hoch. »Ihr kommt zu einer gefährlichen Zeit, Regentin. Seht Euch vor.«
Damit drehte er sich um und ging. Die Gardisten aus Amenkor, die an der Tür postiert waren, traten zur Seite. Brandan nickte mir mit einer entschuldigenden Miene zu, wiederholte diese Geste ein wenig beiläufiger gegenüber William und folgte dem Fürsten.
Kaum waren sie gegangen, wandte ich mich Isaiah zu, der sich bereits über Erick gebeugt und begonnen hatte, ihn zu untersuchen.
»Wie geht es ihm?«
Isaiahs angestrengtes Stirnrunzeln vertiefte sich verärgert, und ich schloss jäh den Mund, um ihn in Ruhe arbeiten zu lassen.
Als er zurücktrat, stieß er ein leichtes Seufzen aus. »Es geht ihm besser. Sein Puls ist nicht mehr so schwach, und seine Atmunggeht ruhiger.« Er sah mir in die Augen und verzog das Gesicht. »Mit Sicherheit werden wir es in ein oder zwei Tagen wissen. Entweder wacht er auf … oder nicht.«
Ich nickte.
»Was ist mit Sorrenti?«, fragte Avrell.
»Ich weiß es nicht. Er war über irgendetwas wütend, und er war rot.« Ich schaute Avrell in die Augen und sah Verständnis darin. Er schürzte die Lippen und blickte zur Tür. »Ihr steht jetzt in seiner Schuld.«
»Ich weiß«, gab ich zurück. »Aber er ist gekommen und hat geholfen.«
Avrell erwiderte nichts.
Erick erwachte zwei Tage später.
Ich stand in seinem Zimmer und blickte hinaus auf die Stadt Venitte, über die grauweißen Gebäude, die sich endlos zu erstrecken schienen. Rauch stieg von den näheren Straßen auf, die sich zum Gipfel des Hügels hinaufwanden, wo die Kuppelzitadelle stand, die als Sitz der Stadtverwaltung diente. Dort hatten die Sieben zur Zeit ihrer Herrschaft ihre Treffen abgehalten. Nun wurden sie von den Fürsten und Fürstinnen ersetzt. Und von Fürst March. Doch die Zitadelle ließ sich von Ericks Fenstern aus nicht erkennen, denn sie wiesen nach Süden auf die weitläufigen Gebäude und Straßen, die zu den südlichen Felsklippen des Hafens und den Häusern dort führten. Zwischen den Gebäuden zeichnete sich vereinzelt Grün ab – Parks, Gärten und Olivenhaine. Jeder Hof, auch der unsere, enthielt ein Bogenspalier, von
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