Die Känguru Chroniken
macht. Dann ist plötzlich Ruhe und ich schlafe ein. Neuer Tumult vor der Haustür lässt mich kurze Zeit später wieder aus meinen Träumen hochfahren.
Verschlafen trete ich durch die offene Tür ins Treppenhaus. Das Känguru steht schon wieder oder noch immer dort. Neben ihm macht sich eine Polizistin Notizen. Ein weiterer Polizist kniet vor unserer Wohnungstür und begafft das Schloss.
»Sehen Sie?«, fragt das Känguru. »Da hat man doch versucht einzubrechen.«
»Aber da war wohl ein ganz schöner Dilettant am Werke«, sage ich.
Der Polizist dreht sich zu mir um.
»Ein was?«, fragt er.
»Ein Dilettant«, sage ich.
»Hm«, sagt der Polizist.
»Ein Anfänger«, sagt seine Kollegin.
»Ja. So einen lächerlichen Einbruchsversuch habe ich tatsächlich noch nie gesehen«, sagt der Polizist.
»Man fragt sich wirklich, ob der Täter davor schon mal Werkzeug in der Hand gehabt hatte«, sage ich.
»Werkzeug? Diese Spuren hier sehen mehr so aus, als hätte er versucht, das Schloss mit seinen Fingernägeln aufzukratzen«, sagt die Polizistin.
»Oder mit seinen Zähnen aufzubeißen«, sagt der Polizist.
»Ja, wie dem auch sei …«, sagt das Känguru leicht genervt. »Ich würde gerne Anzeige gegen unbekannt erstatten.«
»Es wurde doch nichts geklaut«, sagt der Polizist.
»Wegen Sachbeschädigung.«
»Das dauert aber ’ne ganze Weile.«
»Ich habe Zeit«, sagt das Känguru.
Ich auch. Aber ich habe keine Lust. Drum verschwinde ich wieder ins Bett.
Gedämpft höre ich, wie der Polizist fragt: »Das Türschloss der Wohnung gegenüber ist ja genauso verbeult.«
»Ja, ja«, sagt das Känguru. »Ich habe vor ein paar Monaten noch da drüben gewohnt. Da hat auch einer versucht einzubrechen. Da hatte ich Sie schon mal angerufen.«
Später sitzen wir am Küchentisch und das Känguru mampft einen gefüllten Pfannkuchen nach dem anderen.
»Was war denn das für ’ne Aktion vorhin?«, frage ich.
»Man muss die beschäftigt halten«, sagt das Känguru. »Wenn denen langweilig wird, verteilen die Strafzettel an Radfahrer ohne Katzenauge oder machen Jagd auf Kiffer.«
»Verstehe«, sage ich. »Letztens im Zug, da saß auch ein Polizist neben mir, und ich dachte schon: Na toll! Aber der war total nett, der hat mir sogar was von seinen Keksen abgegeben.«
»Was’n für Kekse?«
»Vollkorn-Butterkekse«, sage ich.
»Von Leibniz?«, fragt das Känguru.
»Nee, von Bahlsen«, sage ich.
»Also Leibniz Vollkornbutterkekse von Bahlsen?«, fragt das Känguru.
»Genau«, sage ich.
»Die sind nicht schlecht«, sagt das Känguru.
»Gesund«, sage ich.
»Hm«, zweifelt das Känguru. »Weißt du, dass die Leibniz heißen wegen dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz?«
»Echt?«, frage ich. »Wieso?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hielt Herr Bahlsen sie für die besten aller möglichen Kekse.«
»Witzig«, sage ich.
»Wir müssen übrigens mal das Schloss von der Wohnungstür austauschen«, sagt das Känguru. »Das schließt nicht mehr richtig.«
15:10
Zehn Minuten zu spät komme ich am verabredeten Treffpunkt an. Vom Känguru keine Spur. Puh. Glück gehabt. Sonst hätte es wieder gemeckert. Erst mal verschnaufen. Ich habe ziemlich gute Laune. Ein Straßenmusikant sitzt zwei Meter neben mir auf einer kleinen Mauer und spielt »Don’t worry, be happy«. Genau. Richtige Einstellung. Ich pfeife mit und lasse meine Blicke durch die Gegend schweifen.
15:25
Noch immer kein Känguru. Laune okay. Habe aufgehört zu pfeifen. Kucke leicht genervt auf mein Handy. Keine SMS. Weigere mich aber, beim Känguru anzufrufen. Zu teuer. 5 Der Musikant spielt zum dritten Mal »Don’t worry, be happy«. Gelegentliche Seufzer, begleitet von einem Kopfschütteln.
15:35
Laune mäßig. Seufzfrequenz deutlich erhöht. Fünfzehnter erfolgloser Anruf beim Känguru. »Bitte haben Sie noch einen Augenblick Geduld. Das nächste freie Känguru ist für Sie reserviert.« Kicke kleine Steine umher. Der Musikant beginnt ein neues Lied. Es ist schon wieder »Don’t worry, be happy«.Er kennt wohl nur ein Lied, und nicht mal von dem kann er den Text richtig.
15:40
Laune schlecht. Fluche laut vor mich hin. Trete große Steine durch die Gegend. Treffe ein Auto, dessen Alarmanlage angeht.
15:43
Extrem schlechte Laune. Pöble Passanten an: »Was kuckst du so blöd?« Die Alarmanlage heult immer noch. Ein Mädchen steckt mir ihre benutzte Fahrkarte in die Hand. Sechsundzwanzigster erfolgloser Anruf beim Känguru. Schreie das Auto an. Es
Weitere Kostenlose Bücher