Die Känguru Chroniken
den Teppich nicht?«, frage ich.
»Nein, ich mag den Teppich nicht!«, schreit es und springt weiter im Flur herum. Beim Hochspringen holt es Luft, beim Runterfallen spuckt es Silben aus.
»Der sieht aus wie von IKEA.«
»Der ist von IKEA«, sage ich.
»Iiiiihgitt! IKEA!«, schreit das Känguru unablässig hüpfend. »Alles – Kinderarbeit!«
»Jetzt hör aber mal auf!«, sage ich. »Das behauptest du doch immer, wenn ich mir was Neues gekauft habe!«
»Stimmt auch immer«, sagt das Känguru leicht außer Atem.
»Die Turnschuhe?«, frage ich.
»Ja!«
»Die Kekse aus der Kita?«
»Ja!«
»Die Jackson-Five-Platte?«
»Ja!«
»Die Harry-Potter-Filme?«
»Ja!«
»Die Mini-Playback-Show Gold Special Extended Uncut Platinum Collectors Edition All Seasons DVD Sammelbox?«
»Auch!«
»Und der Teppich auch?«
»Ja, ja, ja, ja, jaaah!« Jetzt fängt es beim Hüpfen auch noch mit Schattenboxen an. »Aber nicht nur, dass der Teppich Kinderarbeit ist …«, ruft es, »er ist auch noch potthässlich!«
»Was erwartest du denn? Ein Meisterwerk der Teppichwebkunst?«, frage ich. »Die sind doch erst acht.«
»Häääääässslich!« Hüpf. Box. Hüpf.
»Dann tauschen wir ihn halt um«, sage ich.
»Verbrennen!«, ruft das Känguru.
»Man kann ja über IKEA sagen, was man will …«, fange ich an.
»Ein individualitätsraubender, ramschherstellender, gewerkschaftsfeindlicher, ausbeuterischer Scheißkonzern!«, schimpft das Känguru.
»Aber das Umtauschen funktioniert meist problemlos«, sage ich.
Da klingelt es an der Tür. Das Känguru hört auf zu hüpfen. Wir blicken uns an und haben denselben Gedanken. Das ist die Nachbarin von unten, und diesmal macht sie Ernst. Aus sehr unzuverlässigen Quellen (namentlich das Känguru) habe ich erfahren, dass die Frau im Internet eine Uzi ersteigert haben soll. Wir linsen durch den Spion. Da steht aber nur ein freundlich lächelnder, etwas dickerer Mann mit spärlichem Haar.
»Hallo! Lasst mich rein. Ich wohne hier«, sagt der Mann.
»Hast du dir ’nen neuen Mitbewohner gesucht, als ich auf Tour war?«, frage ich das Känguru etwas pikiert.
Das Känguru zuckt mit den Schultern. »Ich glaub nicht. Aber ich kann es auch nicht komplett ausschließen. Ich war öfter unten in der Kneipe und …«
Der Mann öffnet die Tür. Wir haben das Schloss noch immer nicht repariert.
»Hallo. Ich bin ich«, sage ich. »Und das ist das Känguru.«
Der Mann tritt ein, schüttelt Hand und Pfote. Wir führen ihn herum.
»Was ist denn unter diesem Tuch?«, fragt er im Zimmer des Kängurus.
»Das ist mein Aquarium«, sagt das Känguru.
»Darf ich mal sehen?«, fragt der Mann.
»Das sind Tiefseefische«, sagt das Känguru. »Die brauchen’s dunkel.«
»Soso«, sagt der Mann, und mit einer plötzlichen Bewegung, die man ihm so geschickt niemals zugetraut hätte, reißt er das Tuch hinfort und offenbart einen riesigen, nagelneuen 16:9-Fernseher.
»Alter!«, rufe ich aus. »Was ist denn das?«
»Ein Linker muss nicht arm sein, er muss nur gegen Armut sein!«, zitiert das Känguru, sofort in Verteidigungsstellung gehend, Oskar Lafontaine.
»Ja, aber«, stottere ich, »du sagst doch immer: Fernsehen, das ist nur Volksverdummung, Gehirnwäsche und …«
»Wer schafft es schon, ein widerspruchsfreies Leben zu führen?«, unterbricht mich das Känguru.
»Und all die Sonntagabende, wo du dich in deinem Zimmer eingeschlossen hast, da hast du nach dem ›Tatort‹ das große Lobbyistenschaulaufen gekuckt?«, grusele ich mich.
»Know your enemy!«, sagt das Känguru.
»Und zahlst du dafür auch GEZ?« fragt der Mann von vorhin, den ich schon wieder komplett vergessen hatte.
»Wer bist du denn?«, fragen das Känguru und ich gleichzeitig.
»Ich bin Horst Köhler von der Gebühreneinzugszentrale!«schreit der Mann, reißt sich metaphorisch die Maske vom Gesicht, öffnet sein Hemd, und vom Brusthaar umringt blinkt uns an einem Goldkettchen die GEZ-Plakette entgegen. Welch perfider Trick! Welch heimtückische Täuschung. Ich bin total außer mir.
»Sei doch so lieb und mach mir mal kurz was zu essen«, sagt das Känguru ganz ruhig, und ich gehe in die Küche. Manchmal hat es so einen Tonfall, dem muss man einfach Folge leisten. Ich schiebe eine Pizza in den Ofen. Im Wohnzimmer poltert es gewaltig. Ich schalte das Radio ein. Auch nicht angemeldet, denke ich. Ich schalte es wieder aus. Als ich mit der Pizza ins Zimmer zurückkomme, ist der GEZ-Mann tot. Er liegt vor dem Schrank des
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