Die Känguru Chroniken
zweiten seiner Sätze mitschwingt, die mich so verstört. Dieses Brutale. Damit kann ich nicht umgehen«, sage ich.
»Aha. Und dieses Känguru …«, fragt mein Psychiater, »… hören Sie nur dessen Stimme oder können Sie es auch sehen?«
»Was’n das für ’ne blöde Frage? Natürlich kann ich des auch sehen. Des wohnt ja bei mir.«
»Aha.«
»Ja.«
»Verstehen Sie, wenn Sie nur die Stimme in Ihrem Kopf hören könnten, hätte mich interessiert, woher Sie wissen, dass es ein Känguru ist.«
»Na, es hat zwei große Füße, ’ne lange Schnauze, spitze Öhrchen und ’nen Beutel. Klingt für mich nach ’nem Känguru …«
»Aha. Und dieses Känguru …«, fragt der Psychiater, »… springt das vielleicht gerade hier im Zimmer herum?«
»Natürlich nicht!«, sage ich. »Sehen Sie hier etwa ein Känguru?«
»Nein«, sagt der Psychiater. »Sicher nicht. Aber warum ist es jetzt gerade nicht hier?«
»Es hat gesagt, ’ne Therapie is nur was für Systemopfer, eshabe keine Psychomacken, und ich solle ruhig allein zum Kopfdoktor.«
»Aha.«
»Und gerade diese Art von Zurückweisung, damit kann ich nicht umgehen«, sage ich.
»Aha. Lassen Sie uns mal ganz weit zurückgehen, in Ihre Kindheit.«
»Nee«, sage ich. »Ich kenn das Känguru ja erst seit ein paar Monaten.«
»Aha. Aber was glauben Sie, warum haben Sie dieses Känguru im Kopf?«
»Ich hab des nicht nur im Kopf!«, beschwere ich mich. »Sie glauben mir wohl nicht!«
»Doch, doch«, sagt der Psychiater und lacht. »Ich lebe ja selbst mit einem Gnu zusammen.«
»Zur nächsten Sitzung bringe ich das Känguru mit!«, drohe ich.
»Ja, hervorragend!«, sagt er. »Bringen Sie doch auch noch den Faselhasen mit, und ich frage den verrückten Hutmacher, und dann machen wir eine nette Teegesellschaft …«
Meine Augen verengen sich zu wütenden Schlitzen.
Eine Woche später. Im Vorzimmer.
»Ich weiß echt nicht, was ich hier soll!«, mault das Känguru. »Ich bin ja hier nicht das Systemopfer mit der Psychomacke.«
»Genau darum geht es«, sage ich. »Um diese Art von Zurückweisung. Ich denke, es wird uns beiden guttun, wenn wir mal offen darüber reden, mit einem unparteiischen Schiedsrichter.«
»Is mir unklar, wie der unparteiisch sein soll, wenn du den bezahlst«, sagt das Känguru.
»Du kannst gerne die Hälfte bezahlen«, sage ich.
»Das wär ja noch schöner«, meckert das Känguru.
Der Psychiater öffnet die Tür.
»Ah! Herr Kling.«
Er schüttelt mir die Hand.
»Ich habe schon Tee aufgesetzt! Wie geht’s denn heute unserem Kängur … aaah!!!!«
Als er das Känguru sieht, entfährt ihm ein spitzer Schrei.
»Fragen Sie es doch selbst«, sage ich.
Der Psychiater schüttelt sich. Geleitet mich hinein und schließt vor dem Känguru die Tür. Wir setzen uns. Das Känguru öffnet die Tür, kommt herein und setzt sich. Mit offenem Mund starrt der Psychiater das Känguru an.
»Jetzt fragen Sie das Känguru doch schon, wie es ihm geht«, sage ich.
»Wi… Wa… Welches Känguru?«, fragt der Psychiater angespannt. »Ich sehe kein Känguru. Nein. Ich sehe kein Känguru.«
»Aber es sitzt doch hier. Hier neben mir.«
»Nein, nein. Da sitzt niemand.«
»Der hat ja ’nen Kopfdoktor noch nötiger als du«, sagt das Känguru.
»Wie? Was?«, fragt der Kopfdoktor.
»Ich habe nichts gesagt«, sage ich.
»Sie wissen natürlich, dass Sie sich das nur einbilden mit diesem Känguru«, sagt der Psychiater schrill.
»Kneif ihn mal«, flüstere ich dem Känguru ins Ohr.
Das Känguru steht auf, geht auf den Psychiater zu und kneift ihm kräftig in die Backe.
»Aua!«, schreit der Psychiater und springt auf seinen Sessel. »Etwas hat mich gekniffen.«
»Etwas tritt dir gleich in den Arsch, wenn du dich weiter aufführst wie ein Irrer«, sagt das Känguru.
»Sehen Sie?«, frage ich. »Genau diese latente Gewaltbereitschaft, die in jedem zweiten Satz mitklingt. Die meine ich.«
»Ich bin ein Vogel!«, zwitschert der Psychiater. »Ein lieblicher kleiner Vogel! Tschilp, tschilp, tschilp, tschilp.« Dabei springt er vom Sessel auf den Tisch, dann auf die Couch und wieder zurück auf den Sessel. Immer im Kreis.
»Apropos Vogel«, sagt das Känguru. »Ich mach mal ’nen Abflug.«
»Iiiiihpfui, ist das ekelig!«, schreit das Känguru zum wiederholten Mal und springt dabei wie wild auf dem neuen Teppich umher. Aus anonymen Beschwerdeschreiben weiß ich, dass es in der Wohnung unter uns immer Mörtel schneit, wenn es das tut.
»Du magst
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