Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
einparken. Was hast du denn bisher geantwortet?«
»Nur, dass du versuchst, überkommene Geschlechter- und Rollenklischees aufzubrechen …«
Das Känguru schüttet sich den Schnaps in sein Bier und trinkt das Ganze durch einen Strohhalm.
»Klingt doch nicht schlecht«, sagt es und rülpst.
»Ja, aber die Leute hängen sich immer an dem Beutel auf.«
»Ach«, sagt das Känguru, »immer dieser Biologismus. Vielleicht habe ich mir den Beutel ja nur angetackert.«
»Warum sollte sich irgendjemand einen Beutel antackern?«
»Na, weil so ein Beutel einfach verdammt praktisch ist«, sagt das Känguru und holt einen pinkfarbenen Lippenstift aus seinem Beutel.
»Auch?«, fragt es.
Ich schüttle den Kopf. »Nein danke. Ich benutze nur Lipgloss.«
Das Känguru trägt sich Lippenstift auf.
»Ich werde also in Zukunft antworten, dass du den Beutel nur dabeihast, um deinen Krempel rumzuschleppen«, sage ich.
Das Känguru zieht ein Plastiklichtschwert aus seinem Beutel.
»Ach, was sage ich … deinen Krempel … meinen Krempel!«
»Den Krempel verschiedenster Leute«, verbessert mich das Känguru und zieht unzählige Schuhe aus seinem Beutel. Einige haben hohe Absätze, andere Stahlkappen, ein paar haben sogar hohe Absätze und Stahlkappen.
»Ich bin mal in die Umkleide von einem Nazikegelverein eingebrochen und habe alle rechten Schuhe geklaut«, sagt es.
»Witzig«, sage ich. »Ich bin mal bei der SPD-Seniorenturngruppe eingebrochen und habe alle linken Schuhe geklaut.«
»Ehrlich?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Schade. Dann hätten wir Paare zusammenpuzzeln können.«
Ich wende mich zum Fernseher und gähne das Fußballspiel an.
»Wollen wir nach Hause gehen und Dirty Dancing kucken?«, frage ich.
»Aber in doppelter Geschwindigkeit.«
»Klingt vernünftig.«
»Ich muss nur noch kurz auf Toilette«, sagt das Känguru und steht auf.
»Ich komm mit!«, rufe ich.
Wir gehen auf den Ausgang zu. In ihrem Flur hat Herta zwei beschriftete Dixie-Klos aufgestellt.
»Das ist der Moment der Entscheidung«, murmle ich.
Auf dem vorderen Klo steht »Ossis«, auf dem hinteren steht »Wessis«.
Wir gehen auf die Straße und pissen gegen ein Plakat des Ministeriums für Produktivität .
»Außerdem kann ich gut einparken«, sage ich dabei. »Das Bäumchen hätte jeder übersehen können.«
»Das war kein Bäumchen, das war eine Eiche, Alter«, sagt das Känguru. »Eine einhundertjährige Eiche. Die war breiter als das Auto …«
»Ach, sei still.«
»Ehrlich. Der größte Baum der Welt, Mann! Es gibt nur zwei Dinge, die man vom Mond aus sehen kann. Die chinesische Mauer und diese Eiche!«
»Man kann die chinesische Mauer nicht vom Weltraum aus sehen«, sage ich. »Das ist nur ein weitverbreiteter Unsinn.«
»Ja, aber diese Eiche kann man sehen!«
»Es fällt mir schwer, das zu erzählen«, sage ich. »Aber Sie sind mein Psychiater, ich muss mit Ihnen darüber reden.«
»Ich bin kein Psychiater. Ich bin Psychoanalytiker«, sagt mein Psychiater.
»Ja, ja«, sage ich. »Was auch immer.«
»Wenn ich Psychiater wäre, hätte ich Sie schon längst mit Medikamenten glücklich gemacht.«
Er blickt länger schweigend auf das Känguru, welches neben mir auf der Couch sitzt. Dann macht er eine kleine Dose auf und steckt sich etwas in den Mund.
»Haben die Papageien aufgehört zu schreien?«, fragt das Känguru.
»Ich hatte dich gebeten, das nicht anzusprechen«, sage ich.
»Ich will nur hören, wie er Titellieder von Kinderserien singt«, sagt das Känguru pampig.
Ich werfe einen schnellen Blick über meine Schulter.
»Deine Mutter ist nicht hier«, sagt das Känguru.
Mein Psychiater wirft sich noch eine Pille ein.
»Was schlucken Sie denn da?«, frage ich.
»Stimmungsaufheller«, sagt mein Psychiater. »Hat mir mein Psychiater verschrieben. Möchten Sie auch?«
»Nein danke.«
»Ich nehm ’ne Partypille«, sagt das Känguru.
Leicht zitternd reicht mein Psychiater dem Känguru eine Tablette.
»Sie beeinträchtigen leider stark die Konzentrationsfähigkeit«, sagt er, »aber unter uns, ich höre sowieso nie richtig zu, sondern sage immer nur ›Aha‹, denn wie alle interessiert auch mich das, was mein Gegenüber zu sagen hat, viel weniger als das, was ich zu sagen habe.«
»Aha«, sage ich. »Jedenfalls: Ich träume von Ihnen.«
»Hören Sie!«, sagt mein Psychiater. »Und das ist mein allerletztes Wort dazu: Suchen Sie sich einen anderen Psychotherapeuten, und wir können uns als Privatpersonen
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