Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
den sehr witzigen Satz, den ich gerade gesagt habe, in mein Notizbuch kritzele.
»Ja, aber warum fliegen wir nach Brüssel, Seattle und Caracas, um dann wieder nach Toronto zu fliegen? Warum warten wir nicht einfach in Toronto auf den Flug nach Ho-Chi-Minh-Stadt?«
»Weil es das System so von uns verlangt«, sage ich.
»Und wer sind wir, dem System zu widersprechen?«, sagt das Känguru.
»Wenn wir einen der Flüge nicht antreten, verfallen alle restlichen Flüge.«
»Aber das scheint mir geographisch unsinnig«, sagt das Känguru.
»Es war aber billiger.«
»Der zwanglose Zwang des besseren Arguments.«
»Du hast den Flug verpasst, den der Verlag bezahlt hatte«, sage ich, »also beschwer dich bloß nicht.«
Ich blättere in meinem Notizbuch.
»Sind das deine Aufzeichnungen über unsere Reiseerlebnisse«, fragt das Känguru.
Ich nicke.
»Wie machst du das eigentlich?«, fragt es. »Du musst doch auf Deutsch schreiben, aber jetzt, wo wir im Ausland sind, sprechen die Leute ja ausländisch. Alle englisch reden zu lassen wäre am glaubwürdigsten, aber man muss auch an die Leserinnen und Leser denken, die noch Russisch in der Schule hatten. Ein schwieriges Problem, so scheint mir.«
»Ich tue einfach so, als ob jeder, den wir getroffen haben, zufälligerweise Deutsch konnte«, sage ich.
»Ach, doch so einfach, ja? Und das findet dann keiner komisch?«
»Das fällt niemandem auf«, sage ich.
»Alle sprechen einfach zufälligerweise deutsch …«
»Ja. Außer ich finde es aus irgendeinem Grund witziger, dass sie nicht deutsch sprechen.«
Plötzlich platscht ein unrasierter Mann mit seinem Gesicht von außen gegen das Schaufenster des Schleckers und brüllt: »Nicht erschrecken!«
Ich erschrecke mich total.
»Oh«, sagt das Känguru. »Das ist ja der Generalgouverneur von Kanada!«
Zufälligerweise spricht er deutsch.
»Hallo, Comandante!«, ruft er. »Kommt raus! Kommt raus!«
Wir verlassen den Schlecker.
»Und Sie müssen der Hauptmann sein«, sagt der Generalgouverneur. »Ich habe euch gerade da sitzen sehen und traute meinen Augen kaum!«
»Was war denn das für eine Aktion mit der Scheibe?«, frage ich.
»Oh, dass mache ich öfter«, sagt der Generalgouverneur. »Das ist einer meiner Anti-Terror-Anschläge. Normalerweise knalle ich aber mit dem Gesicht gegen die Scheiben von Nobelrestaurants. Die Leute kriegen immer fast einen Herzkasper.«
»Das glaube ich«, sage ich.
»Dann klebe ich noch eine Botschaft an die Scheibe und bin schwups wieder verschwunden.«
»Was denn für Botschaften?«, frage ich.
»Ich weiß, wen du letzten Sommer entlassen hast«, sagt der Gouverneur. »Und Ähnliches.«
»Aha.«
»Ich bringe den Horror dahin zurück, wo er herkommt.« Der Stellvertreter der Queen macht eine fiese Fratze. »Soll ich euch ein bisschen durch die Stadt führen?«, fragt er danach.
Das Känguru nickt. Der Generalgouverneur geht voran und wir folgen ihm.
»Seit wann sind Sie beim Asozialen Netzwerk, Sektion Kanada, Ihre Exzellenz?«, frage ich.
»Ich kann mich überhaupt nicht mehr an eine Zeit erinnern, in der ich nicht einer von den Asozialen war …«, sagt der Gouverneur.
»So lange schon?«, frage ich.
»Nee, nicht lange. Aber mein Gedächtnis, ey …« Er pfeift. »Seine Exzellenz hat definitiv zu oft mit dem King in the North und der Queen Mom einen durchgezogen, wenn ihr versteht, was ich meine … Und dieses hochgezüchtete Zeug ist ja nicht mehr das, was wir in unserer Jugend geraucht haben, das knallt dich wirklich weg, da bleibt keine Synapse mehr auf der anderen …«
»Warum sind hier kaum Leute auf den Straßen unterwegs?«, fragt das Känguru.
»Die sind alle unter der Erde, Special K. «
»Unter der Erde im Sinne von tot?«, frage ich.
»Genauso gut könnten sie tot sein«, sagt der Gouverneur. »Ja.«
»Sie sprechen in Rätseln, Ihre Exzellenz.«
»Seht ihr diese dampfenden Gitter, auf denen die Obdachlosen liegen? Das sind Abluftschächte. Die ganze verfickte Innenstadt ist ein riesiges unterirdisches Einkaufszentrum. Fast jedes dieser Hochhäuser bietet einen Zugang. Da unten ist ein neunundzwanzig Kilometer langes Wegesystem. 370.000 Quadratmeter Neonlicht und Klimaanlagenluft.«
Er schüttelt sich.
»Das heißt, man kann so ziemlich jeden Punkt in der Stadt unterirdisch erreichen?«, fragt das Känguru.
Der Gouverneur nickt.
»Warum laufen wir dann im Regen herum?«, fragt das Känguru.
»Folgendes«, sagt der Gouverneur. »Ganz oft funktioniert
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