Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
Gesetz ins Parlament einbringen, das alle Parlamentarier unter Androhung von Strafe dazu verpflichtet, jegliche Nebenjobs, Nebeneinkünfte und sonstige Lobbybeziehungen sofort und vollständig offenzulegen.«
Völlig geschockt blickt mir der Mann ins Gesicht. Dann fängt er an zu lachen.
»Für eine Sekunde dachte ich, Sie meinen das ernst!«, sagt er kichernd. »Sehr witzig! Als ob die Kollegen so einem Gesetz jemals zustimmen würden.«
Er wischt sich eine Lachträne aus dem rechten Auge.
»Also. Was kann ich wirklich für Sie tun?«
»Ich möchte Sie bitten, ein Gesetz einzubringen, das verlangt, dass EU-weit in allen Radiostationen aus Bob-Dylan-Liedern die Mundharmonika herausgefiltert wird«, sagt das Känguru und gibt dem Mann mein Handgepäck.
Ich hole mir meinen Koffer zurück.
»Wir kucken erst mal, ob wir die Kollegin dahinten billiger bekommen.«
Als wir im Zug zurück zum Flughafen sitzen, sage ich: »Stell dir nur mal vor, wenn wir scheißreich wären, was wir uns für tolle Gesetze kaufen könnten.«
»Wenn wir scheißreich wären«, sagt das Känguru, »wären wir mit den Gesetzen, die es gibt, wahrscheinlich ganz zufrieden.«
In Seattle haben wir acht Stunden Aufenthalt. Laut dem Reiseführer des Déjà-vu-Verlages hat Seattle zwei Hauptattraktionen: die allererste Starbucks-Filiale und das Haus, in dem sich Kurt Cobain erschossen hat.
»… und Kurts Freundin«, sagt das Känguru.
»Courtney?«, frage ich.
»Nein, nein. Irgendeine davor. Die hat ein Deodorant benutzt, das hieß ›Teen Spirit‹. Und einmal nach einer Party hat eine Bekannte von Kurt an die Wand des Zimmers, in dem Kurt schlief, ›Kurt smells like teen spirit‹ gesprayt. Kurt wachte auf und war total fasziniert von dem Satz. Er kannte nämlich die Deo-Marke nicht. Und so wurde aus der peinlichen Namensidee einer billigen Werbeagentur der Titel des wichtigsten Musikstückes seit Beethovens Neunter.«
»Voll die Geschichte«, sage ich und trinke einen Schluck Kaffee. Da wir Kurts ehemaliges Haus verschlossen und in Privatbesitz vorfanden, was zumindest mich daran hinderte, es zu betreten, sind wir bei Starbucks gelandet.
»Kuck mal«, sage ich. »Das ist lustig. Auf die Pappbecher sind schlaue Zitate draufgedruckt. Ich habe Zitat Nummer 246.«
Ich zeige dem Känguru meinen Becher, und es liest:
»Wir sind die erste Generation in der Geschichte, welche die extreme Armut abschaffen kann. Das ist unser Glück, unsere Herausforderung und unsere Verantwortung. Jeffrey Sachs.«
Das Känguru blickt mich an.
»Was ist daran lustig?«, fragt es.
»Das Kleingedruckte unten.«
Das Känguru liest vor: »Das ist die Meinung des Autors und nicht notwendigerweise die Meinung von Starbucks.«
»Ist es nicht schön, wenn die PR-Abteilung und die Rechtsabteilung so wunderbar Hand in Hand arbeiten?«, frage ich. »Ich finde, andere Konzerne sollten das übernehmen. Zum Beispiel: ›Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.‹ – Antoine de Saint-Exupéry. Das ist die Meinung des Autors und nicht notwendigerweise die Meinung von Fielmann.«
»Nicht notwendigerweise die Meinung … Tss … Das ist so feige!«, sagt das Känguru kopfschüttelnd. »Das regt mich wirklich auf. Entweder man macht ’ne Ansage oder man hält die Klappe. Aber ’ne Ansage zu machen und sich dann sofort vorsorglich davon zu distanzieren … Bäh. Diese Distanzierungsmanie ist ja eine regelrechte Krankheit. Sich bloß nicht auf irgendetwas festlegen lassen. Das zieht sich schon durch alle Lebensbereiche. Die Leute sagen ja nicht mal mehr ›Ich liebe dich!‹, die sagen ›Ich liebe dich! (Bitte beachte die Fußnote)‹. Und in der Fußnote steht: ›Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand und unterliegt als solcher naturgemäß Schwankungen. Dies ist also eine zeitlich begrenzte Schätzung und mit keinerlei Rechtsansprüchen verbunden. Alle Ereignisse und Personen in dieser Aussage sind fiktiv. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Keine Tiere kamen beim Sprechen dieses Satzes zu Schaden.‹ Ich hätte große Lust, den Leuten volle Kanne gegen das Schienbein zu treten und danach zu sagen: ›Ich distanziere mich hiermit von dem Tritt gegen das Schienbein.‹ Bäh. Weißt du, was passiert, wenn man sich immer alle Türen offen hält? Dann zieht’s, mein Freund! Dann wird man krank. Diese verblödete Wischiwaschi-Kultur. Die Welt ist echt voll von Arschlöchern, rechtlich
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