Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
nur eine Rolltreppe. Die nach unten. Auch bin ich mal an einem Ausgang vorbeigelaufen, der wegen Bauarbeiten gesperrt war. Das nächste Mal, als ich an dieser Stelle vorbeikam, war der Ausgang weg. Versteht ihr? Die Falle schnappt zu! Das ist der buchstäbliche Weltinnenraum des Kapitals. Das ist …«
»Ja, ja«, unterbricht ihn das Känguru. »Das ist aber auch trocken. Ich mag ja selbst keine Shopping-Malls. Aber es ist doch bescheuert, deswegen im Regen herumzulaufen. Ich bin dafür, dass wir abstimmen.«
»Okay«, sage ich.
»Ich möchte nicht unten sein, wenn der letzte Ausgang verschwindet«, murmelt der Gouverneur.
»Wer ist dafür, weiter im Regen herumzulaufen?«, fragt das Känguru.
Der Gouverneur und ich melden uns.
»Ach«, sagt das Känguru verächtlich, schüttelt sich das Wasser aus dem Pelz und sieht nun so aus, als hätte es in eine Steckdose gefasst.
»Ihr könnt ja machen, was ihr wollt«, sagt es. »Aber ich habe mich schon durch Tunnel gekämpft, als ich noch beim Vietcong war. Ich habe keine Angst vor einer unterirdischen Shopping-Mall. Ich geh jetzt da rein.«
Es hüpft in ein Hochhaus. Schulterzuckend folge ich ihm.
»Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!«, ruft der Gouverneur uns nach. Dann wendet er sich kopfschüttelnd ab.
Ich nehme die Rolltreppe nach unten. Im Untergrund ist ein McDonald’s, ein Starbucks und ein geschlossener Schlecker. Nebenan eröffnet gerade ein neuer Bio-Bubble-Tea-Laden. Ich laufe dem Känguru hinterher. Irgendwann drehe ich mich um, und wahrscheinlich liegt es nur am grellen Licht, oder vielleicht sind wir schon um eine Ecke gebogen, ohne dass ich es registriert habe, aber mir ist so, als hätte ich einen Pinguin vorbeihuschen sehen, und der Ausgang … Der Ausgang ist verschwunden.
TAMM TAMM TAAAAHHM! 9
9 9 Cliffhanger, der: In Thomas Hardys zwischen September 1872 und Juli 1873 in Tinsley’s Magazine als Fortsetzungsgeschichte erschienenem Roman A pair of blue eyes hängt der Protagonist Henry Knight am Ende einer Episode an einem Büschel Gras über einem Steilhang. Diese Szene wurde zur Namensgeberin eines Tricks, den vor Hardy schon Scheherazade eintausendundeinmal erfolgreich angewandt hatte und der später das Genre der Soap Opera ermöglichte: Man bricht eine scheinbar sehr spannende und dramatische Szene mitten in der Handlung ab, um das Publikum bei der Stange zu halten. Oft erweist sich die Szene dann zu Beginn der Fortsetzung übrigens als gar nicht so spannend und dramatisch. (Anm. des Chronisten)
Wir haben dann doch noch einen Ausgang gefunden.
Ein mit gelben Steinen gepflasterter Weg führte uns unterirdisch bis zum Flughafen, und wir sind weitergeflogen nach Brüssel. Um die neun Stunden Aufenthalt dort zu nutzen, sind wir in die Innenstadt gefahren.
»Hicks«, mache ich.
Seit ich am Flughafen die Biobrause Süßkartoffel-Kräuterquark getrunken habe, habe ich Schluckauf.
»Hicks«, mache ich. »Hilf mir! Mach, dass es aufhört. Du musst mich erschrecken.«
»Kein Problem«, sagt das Känguru. »In der Innenstadt von Brüssel gibt es inzwischen mehr Lobbyisten als Menschen.«
»Was?«, frage ich.
»Das ist doch erschreckend!«, sagt das Känguru.
Mein Schluckauf ist weg.
Wir biegen um eine Ecke und sehen den Sitz der Europäischen Kommission. Die ganze Straße lang stehen Männer und Frauen wartend herum.
Ein Typ im Anzug spricht uns an.
»Guten Tag. Ich habe einen Sitz im EU-Parlament in Straßburg«, sagt er, »und hätte gerade Kapazitäten frei, das Anliegen Ihrer Lobbygruppe zu unterstützen.«
»Aber Sie kennen uns und unser Anliegen doch gar nicht«, sagt das Känguru.
»Oh«, sagt der Mann. »Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsame Interessen haben.«
Er deutet auf den schwarzen Koffer, in dem ich mein Handgepäck herumschleppe.
Eine Frau im Businesskostüm nähert sich uns.
»Hau bloß ab, Schätzchen, das ist meine Ecke«, sagt unser Parlamentarier. Er wendet sich wieder zu uns.
»Vorschlag einbringen mache ich für 50. Durchboxen ab 100.000. Perverser Scheiß kostet natürlich extra.«
»Perverser Scheiß?«, frage ich.
»Ihr wisst schon«, sagt der Mann. »So Nummern mit Waffen oder Medikamenten und so.«
»KENNEN SIE DIESEN PINGUIN?!?«, ruft das Känguru und hält dem Mann unvermittelt das Passfoto unter die Nase.
»Sie brauchen mich nicht zu testen«, sagt der Mann. »Ich verrate nie etwas über meine Auftraggeber.«
»Apropos«, sage ich. »Unsere Auftraggeber möchten, dass Sie ein
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