Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
Absperrgurte aufgestellt. Ein sogenanntes Personenleitsystem. Ich beobachte eine Person, die das komplette Personenleitsystem durchläuft. Allein. Vor der Person steht niemand an. Hinter der Person läuft niemand her.
»Kita, Praktika, Schule, Praktika, Ausbildung, Praktika, Beruf, Praktika, Altersheim, Tod«, sage ich. »Laufen wir nicht unser ganzes Leben in solch einem Personenleitsystem?«
»Vorsicht«, sage ich. »Selbstgespräch. Aber interessanter Gedanke.«
Mein Handy klingelt. Im Display steht ›Rufnummer unterdrückt‹. Ich gehe ran.
»Jedes Mal, kurz bevor ich was richtig Schlaues denke, klingelt mein Handy«, sage ich. »Geht dir das auch so?«
» So oft kann mein Handy gar nicht klingeln «, sagt das Känguru am anderen Ende der Leitung.
»Was gibt’s?«, frage ich.
» Hast du gewusst «, fragt das Känguru, » dass es in den US A früher vielerorts Straßenbahnen gab? Nicht nur in New York und S an Francisco. Zum Beispiel auch hier in Los Angeles. Im Jahr 1921 allerdings setzte Alfred P. Sloan, damals Präsident von General Motors, eine neue Geschäftsstrategie durch, heute bekannt als die General Motors Streetcar Conspiracy . Kurz gesagt sollten innerstädtische Verkehrsbetriebe dazu gezwungen werden, ihre Straßenbahnen zu verschrotten und durch Busse zu ersetzen. Betriebe, die weder durch ökonomischen Druck noch durch Bestechung kleinzukriegen waren, wurden einfach von National City Lines aufgekauft. Eine Tarnfirma, hinter der neben General Motors weitere Straßenbahnfreunde wie Firestone Tire und Standard Oil steckten.
GM profitierte doppelt vom Ersetzen der Straßenbahnen durch Busse, da erstens diese Busse natürlich von GM gebaut wurden und zweitens der öffentliche Personennahverkehr so nervend und unzuverlässig wurde, dass alle Amerikaner bei GM Autos kauften. Diese Autos stehen seitdem alle mit den Bussen im Stau, und kurz gesagt führte das alles dazu, dass man heutzutage hierzulande als Fahrgast im ÖPNV leicht dem Glauben erliegen kann, man würde sich mit jeder Minute weiter von seinem Ziel entfernen. «
»Kommst du zu spät?«, frage ich.
» Spät? «, fragt das Känguru. » Vielleicht. Aber zu spät? In Relation zu welchem Ereignis denn? «
»Zu spät in Relation zur Abflugzeit unserer Maschine nach Ho-Chi-Minh-Stadt.«
» Aha «, sagt das Känguru. » Nun gut. Dann muss man wohl sagen: Ja. Zu spät. «
Ich stöhne und massiere meine Schläfen.
» Buchst du schon mal neue Tickets? «, fragt das Känguru.
»Was hast du denn den ganzen Morgen gemacht?«, frage ich.
» Hast du überdies gewusst, dass auf dem ganzen sogenannten Walk of Fame weder Bud Spencer noch Terence Hill einen Stern haben? «
TAMM TAMM TAAAAHHM!
» Was war das? «, fragt das Känguru.
Ohne zu antworten, lege ich auf. Der Tod, denke ich, vielleicht muss man ihn mehr als Befreiung begreifen.
Warnung :
Das folgende Kapitel endet mit einem Cliffhanger
und einem dramatischen Tusch.
Wir fliegen von Los Angeles über Toronto, Brüssel, Seattle, Caracas und Toronto nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Das scheint mir zwar geographisch unsinnig, war aber 25 Dollar billiger.
Jetzt haben wir zehn Stunden Aufenthalt in Toronto, weshalb wir für 27,95 $ pro Person one-way mit dem Airport-Express in die Innenstadt fahren, und mich beschleicht mal wieder der unangenehme Verdacht, irgendeinen Denkfehler gemacht zu haben.
Als wir in der Stadt ankommen, ist der Himmel grau, und es regnet. Die Straßen zwischen den Hochhäusern sind wie leergefegt. Nur ein paar Obdachlose liegen auf seltsam dampfenden Gittern.
»Wollen wir uns irgendwo reinsetzen und einen Kakao trinken?«, fragt das Känguru. Ich nicke und blicke mich um. Da ist ein McDonald’s, ein Starbucks und ein geschlossener Schlecker. Das Känguru hüpft auf den Schlecker zu und knackt das Türschloss.
Drinnen holt es zwei Stühle sowie einen Campingtisch aus seinem Beutel und stellt alles ins Schaufenster. Wir setzen uns. Das Känguru serviert einen Flachmann mit Malzkakao und Frösi-Kekse.
»Irgendwie ist es schade, dass Schlecker pleitegegangen ist«, sage ich. »Ich meine, wenn ich mal Kinder kriege, wo sollen die denn ihre ersten Haselnusswaffeln klauen?«
Das Känguru nimmt einen Schluck aus dem Flachmann.
»Warum genau fliegen wir eigentlich von Toronto nach Brüssel und von Brüssel nach Seattle und von Seattle nach Caracas und von Caracas nach Toronto?«, fragt es.
»Weil unser Flug nach Ho-Chi-Minh-Stadt ab Toronto geht«, sage ich, während ich
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