Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
»Überall sieht’s gleich aus. Man landet an den immer gleichen Flughäfen, schläft in den immer gleichen Hotels, spielt in den immer gleichen Stadien, führt die immer gleichen Gespräche und am Ende des Tages kommt irgendein Typ in die Garderobe und sagt: ›Die Limousine wartet!‹, und dann fängt alles von vorne an. Alle beneiden einen immer um das Rockstarleben, aber genauso gut könnte der Typ rufen: ›Heute ist Murmeltiertag!‹«
Irgendein Typ kommt in die Garderobe und sagt: »Die Limousine wartet.«
Manfred seufzt. Die Band bricht auf. Das Känguru bedient sich noch an den Resten des Cateringbuffets, dann gehen auch wir durch den Hintereingang hinaus. Manfred steigt gerade in die Limousine. Ekkehard sitzt schon drin, beugt sich zum Fahrer vor, und ich höre, wie er sagt: »Airport.«
»Wie isses draußen?«, frage ich, als das Känguru von seinen Erkundungen zurück ins Hotel kommt. »Angenehm?«
»Es ist, als ob dir jemand ständig mit einem heißen Bügeleisen ins Gesicht schlägt«, sagt es. »Ich weiß gar nicht, wie ich das früher ausgehalten habe.«
»Gibt’s was Neues?«, frage ich.
»Der Oberbefehlshaber hat sich gemeldet. Wir müssen zu den Tunneln.«
»Was denn für Tunnel? Gibt’s hier auch schon so ein furchtbares Einkaufszentrum?«
»Nein, nein. Ich rede von den Tunneln von Cu’ Chi«, sagt das Känguru. »Schon im Krieg gegen die Franzosen haben die Genossinnen und Genossen dieses Tunnelsystem angelegt. Im Krieg gegen die Amerikaner haben wir es dann zu einer richtigen Stadt ausgebaut, mit Räumen auf drei Ebenen. Es gab Lazarette, Schlafstätten, Büros, sogar Schulen und 3-D-Kinos.«
»Also, als du erzählt hast, du hättest schon früher im Untergrund gekämpft, da war das wörtlich gemeint?«
»Meine Eltern haben sogar in den Tunneln geheiratet.«
»Deine – Eltern – haben – geheiratet?«, frage ich erstaunt. »War ihnen das nicht zu bürgerlich?«
»Steuervorteile.«
»Und wie sollen wir zu der geheimen Untergrundtunnelstadt kommen?«
»Es fahren täglich Touristenbusse.«
»Kaum liegen die Toten in ihren Kisten, kommen die Touristen«, zitiere ich einen alten Hit der Kranken Schwestern .
»Du darfst den Oberbefehlshaber übrigens auf keinen Fall auf die Kriegszeit ansprechen«, sagt das Känguru. »Versprich mir das.«
»Wieso?«, frage ich. »Erzählt er mir sonst, dass du gar nicht beim Vietcong warst?«
»Ich finde deinen Mangel an Glauben beklagenswert.«
»Verzeihen Sie mir, Lord Vader.«
»Es ist nur so«, sagt das Känguru, »dass der Oberbefehlshaber, wenn er einmal anfängt, vom Krieg zu labern, nicht mehr damit aufhört.«
»Äh … hat einer von euch vielleicht Feuer«, fragt Pierre, der im Whirlpool liegt, in jeder Hand eine nasse Zigarette.
»Was machen wir eigentlich mit ihm, wenn wir auschecken?«, frage ich.
»Ich hatte dir gesagt, dass du ihn nicht mitnehmen sollst«, sagt das Känguru.
»Die anderen haben ihn einfach vergessen!«, sage ich.
»Du hast ihn mit nach Hause gebracht«, sagt das Känguru. »Jetzt kümmere dich auch um ihn.«
Als wir bei den Tunneln ankommen, nehme ich Pierre wieder an der Hand und helfe ihm aus dem Bus. Vor dem Haus, in dem die Touristen empfangen werden, steht ein kleiner, alter Vietnamese und wartet auf uns. Zufälligerweise spricht er deutsch.
»Willkommen, Comandante«, sagt er und herzt das Känguru. »Und Sie müssen der Hauptmann sein.«
Ich nicke.
»Ich bin der Oberbefehlshaber der US-Truppen des Asozialen Netzwerkes, Sektion Vietnam«, sagt der Mann. »Stets zu Diensten.«
Er streckt mir seine Faust entgegen, und wir machen den geheimen Handschlag des Asozialen Netzwerks.
»Außerdem bin ich Entrepreneur extraordinaire und Erfinder des ersten antiimperialistischen Kaugummis«, sagt der Mann.
»Ein antiimperialistischer Kaugummi?«, frage ich.
Der Oberbefehlshaber greift in eine Tasche seiner Uniform.
»Der Ho-Chi-Mint«, sagt er. »Möchtest du einen?«
Das Känguru schüttelt warnend den Kopf.
»Nein danke«, sage ich.
»Herr Oberbefehlshaber …«, beginnt das Känguru.
»Ach, was soll die Förmlichkeit. Nenn mich einfach O.B.«
»Eine unglücklich gewählte Abkürzung«, murmle ich.
»Was?«
»Nichts, nichts.«
»Kommt erst mal mit«, sagt der O.B. und führt uns vom Empfangshaus weg zu einem Schießstand. »Wir haben hier Pistolen, Uzis, Kalaschnikows, Bazookas. Alles mit scharfer Munition. Die Touristen sind ganz heiß drauf. Die kommen hierher und ballern. Ein Dollar pro
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