Die Kaffeemeisterin
informiert; auch Aleppo, Tripoli, Beirut, Sidon, Tyrus und Haifa würden sie besuchen, um nach wertvollen Büchern zu stöbern.
Alle Frauen des Harems hatten mitkommen wollen, selbst Zehras sechzigjährige Mutter Emine, eine gebürtige Venezianerin.
»Jeder gute Muslim muss mindestens einmal im Leben in Mekka gewesen sein – soll das etwa ausgerechnet für uns nicht gelten?«, hatte sie den Sultan gefragt, als dieser die ganze Pilgerreise aus Sorge um die Sicherheit seiner Familie infrage gestellt hatte.
Emine Hanim war eine reizende ältere Dame, die aber durchaus temperamentvoll sein konnte. Ihre hohe Position am Hofe verdankte sie der Tatsache, dass sie die Mutter der Lieblingsschwester von Mahmud I. war. Sie verbrachte ihre Zeit damit, Ränke gegen die Valide Sultan, Mahmuds Mutter, zu schmieden, die schon immer ihre Konkurrentin im Harem gewesen war und ihr, weil sie dem alten Sultan einen Sohn geboren hatte, den Rang abgelaufen hatte.
»Zehra war bereits viermal in Mekka«, hatte der Sultan geantwortet und Emine Hanim nicht angesehen.
»Aber noch nie in Damaskus oder Jerusalem!«, hatte seine Schwester an ihrer Stelle gesagt. »Und wird Gott uns nicht umso mehr lieben? Alhamdullilah für all die schönen Stätten, die er uns zeigen will. Hat er, gepriesen sei sein Name, uns nicht Augen gegeben, um die Schönheiten der Welt zu sehen?«
»Und ich war noch nie in Mekka. Willst du dafür verantwortlich sein, dass ich in die Hölle komme? Und wer wird sich um meine Enkelinnen kümmern, wenn Zehra mit ihren Forschungen beschäftigt ist?«, hatte Emine ihr Vorhaben bekräftigt.
Johanna war hin- und hergerissen von diesen Plänen. Sie war erst seit zwei Monaten im Serail und wäre gern noch länger dort geblieben. Ein wenig scheute sie die weite Reise auch, weil sie nicht noch mehr Meilen zwischen sich und die Mädchen bringen wollte. Aber vor allem wollte sie Konstantinopel aus dem Grund nicht verlassen, weil sie, wenn man es recht besah, ihrem geheimen Wunsch, Aglaias Nachfolgerin und damit die neue Kaffeemeisterin des Sultans zu werden, noch nicht ein Stück näher gekommen war. Zumal Gül auf den Plan getreten war. Die stets schmollende blonde Sklavin aus der ungarischen Puszta, die schon seit ihrem fünften Lebensjahr im Topkapi-Serail lebte, schien ebenfalls Bestrebungen in diese Richtung zu haben. Fortwährend scharwenzelte sie um Aglaia herum und versuchte sich bei ihr einzu schmeicheln. Die Armenierin konnte sie nicht leiden, aber wagte es nicht, ihren Unmut zu zeigen. »Gül ist Emines Lieblingssklavin. Und Emine kann sehr gefährlich sein«, hatte sie Johanna anvertraut und war sich wieder mit der Handkante über den Hals gefahren.
Doch Zehra drängte auf eine baldige Abreise. Und natürlich reizte es Johanna auch, mehr von der Welt zu sehen. Wann würde sie schon in ihrem Leben noch einmal die Gelegenheit haben, nach Mekka zu kommen, dorthin, wo das allererste Kaffeehaus gestanden hatte? Nicht, dass sie mit dem Gedanken spielte, zum moslemischen Glauben überzutreten, aber sie hatte jetzt bereits so viel über den Hadsch gehört, dass sie dieses bedeutsame Ereignis gern mit eigenen Augen verfolgt hätte. Und all die anderen Städte, die Zehra genannt hatte, Aleppo, Tripoli, Haifa – wie fremd und exotisch das klang! Hatte sie überhaupt schon mal jemanden getroffen, der so weit gereist war? Nicht einmal Marcello war bisher in diese ferne Gegend vorgedrungen.
Johanna seufzte. Und noch einen Grund gab es, warum sie sich so schlecht entscheiden konnte: Gabriel. Es hatte keinen Sinn, sich länger etwas vorzumachen, sie konnte ihn einfach nicht vergessen. Bliebe sie in Konstantinopel, würde sie weiterhin jeden Tag dem Arabischlehrer begegnen, der sie so fatal an den Geiger erinnerte. Dabei hatte Salomon in seiner verhuschten Art, die in einem so starken Widerspruch zu seinem fantastischen Äußeren stand, überhaupt keine Ähnlichkeit mit Gabriel. Aber er war eben auch Jude. Und wenn er doch einmal seinen Blick hob, den er aus lauter Angst, irgendeiner Haremsdame aus Versehen zu tief in die Augen zu schauen, stets gesenkt hielt, dann hatte Johanna das Gefühl, in diesem dunklen Blick zu versinken. Der Main, das Konzert, der Regen, das Cembalo im Damensalon, Gabriels weiche Haut unter ihren Fingern, sein Blut, der Kuss – all das war dann sofort wieder da. Der Arabischlehrer schien zu spüren, dass irgendetwas an ihm sie zutiefst verwirrte, denn kaum bemerkte er sie, wurde er noch unsicherer als
Weitere Kostenlose Bücher