Die Kaffeemeisterin
sonst. Aber wahrscheinlich bildete sie sich das auch nur ein; bestimmt würde sich jeder Mann, der unter den feindseligen, wachsamen Blicken der Eunuchen zwischen lauter Frauen im Harem Unterricht erteilen sollte, auf die eine oder andere Art seltsam beneh men. Und die tief verschleierte, klunkerbehängte Sultansschwester mit der rauen Stimme, die königlich zwischen ihren Bücherstapeln thronte, konnte einen natürlich durchaus aus der Fassung bringen. Ganz zu schweigen von Zehras Mutter, die so reizend wirkte, aber die, wie jeder wusste, nicht lange fackelte, wenn es darum ging, jemandem einen Dolch in den Rücken zu stoßen.
» Wa kataba al-katib« , sagte der junge Alexandriner seinen Schülerinnen vor und schaute zu Boden.
Johanna wusste inzwischen, was das hieß: »Und der Schriftsteller schrieb.«
Zehra sah von einem dicken Wälzer auf, der ihre Aufmerksamkeit schon seit geraumer Zeit fesselte. Noch immer schien sie keine Entscheidung getroffen zu haben, ob das Buch auf den linken oder den rechten Stapel wandern sollte.
»Das Seyahatnâme des großen Reisenden Evliya Çelebi. Ich habe es schon so oft gelesen. Aber ich weiß nicht, ob ich mich davon trennen kann … Du musst es unbedingt lesen, Yuhanissa!«
Sie legte das Buch auf den Reisestapel und sagte bestimmt:
»Das nehmen wir als Lektüre für Yuhanissa mit.«
Zehra hatte Johanna vom ersten Tag an wie selbstverständlich in ihren Hofstaat integriert, zwischen Zwergen, Papageien, Musikantinnen und Pfauen. Immer wieder ließ sie sich von ihr schildern, wie Frankfurt aussah, wann wer in das Kaffeehaus kam. Welche Feiertage man dort einhielt, wie die Kirchen aussahen, wer zum Gottesdienst kam und was die Frauen und Männer für Kleidung trugen. Die Reise durch die Alpen interessierte sie genauso wie die Kaffeesorten, die in Florianos Kaffeehaus an der Piazza San Marco serviert wurden. Auch das venezianische Hochwasser musste Johanna immer wieder schildern. Und natürlich ihren Abend in der Oper. Abends, wenn Zehras Augen vom vielen Lesen müde waren und sie ihnen eine Pause gönnen wollte, war Johannas Stunde gekommen. Dann hieß es Kaffee zuzubereiten und Geschichten zu erzählen, Tasse um Tasse, Anek dote um Anekdote. Zehra schien irgendetwas an ihr exotisch zu finden, mutmaßte Johanna. Die roten Haare konnten es nicht sein, gab es doch mehrere Rothaarige im Harem; sogar die be rühmteste Bewohnerin des Serails, Roxelane, die Frau Süleymans des Prächtigen, hatte angeblich kupferfarbenes Haar gehabt. Und mit ihrer Bildung konnte sie Zehra auch nicht beeindrucken, vermochte sie doch nur wenig Auskunft zu geben über die gerade in Frankfurt diskutierten Bücher. Allein mit dem Kartenmacher Ludwig Haldersleben konnte sie aufwarten.
»Ich nehme alles einmal«, hatte Zehra gesagt. Auf Johannas verständnislosen Blick hin hatte sie erläutert: »Schick mir ein Exemplar von jeder Karte, die er hat, wenn du wieder dort bist. Ich werde dir eine Liste mitgeben, was ich brauche. Und wenn du etwas davon findest, schickst du es mir. Geld gebe ich dir mit.«
Was sie wohl alle im Moment in Frankfurt taten? Bestimmt war es dort jetzt noch recht kalt. Vielleicht schien schon ab und zu die Sonne, aber so mild, dass man sich draußen aufhalten konnte, war es sicher noch nicht. Ob der Flieder schon blühte? Nein, wohl kaum! Johanna starrte auf die Zypresse unterhalb des Balkons, die ihr den Blick zum Goldenen Horn versperrte. Ob die Mädchen sich noch immer so gut mit Elisabeth verstanden? So gut, dass sie sie, Johanna, gar nicht mehr vermissten? Hoffentlich gingen sie nur weiterhin zu Cornelia Haldersleben, um ihren Unterricht bei ihr fortzusetzen, auch wenn der Weg von Bornheim nun viel weiter war! Aber der Kartenmacher würde Elisabeth schon einschärfen, wie wichtig es war, dass sie die Mädchen zum Lesen und Schreiben anhielt. Johanna lachte leise. Ludwig Haldersleben würde sich bestimmt prächtig mit Zehra verstehen, sie hatten beide diesen leicht besserwisserischen Zug an sich.
Der schwarze Eunuch drängte sich an den Dienerinnen vorbei auf den Balkon. Er war ein massiger Amhara mit feinen abessinischen Gesichtszügen, die trotz seiner Korpulenz zierlich und elegant geblieben waren.
»Ich räume mal etwas weg, wenn Ihr erlaubt«, unterbrach er Zehra. »Der Balkon bricht uns sonst noch zusammen.«
»Insbesondere wenn du darauf stehst, Iskender«, erwiderte die Schwester des Sultans spitz und ließ ihr raues Lachen hinter dem Schleier ertönen.
Beleidigt
Weitere Kostenlose Bücher