Die Kaffeemeisterin
Haar unter deinem Hijab, nicht wahr?«
Schneller, als Johanna reagieren konnte, zupfte Aglaia eine Strähne unter dem schwarzen Kopftuch hervor.
»So lange habe ich Mamas Sprache nicht gehört, viele viele Jahre. Und dann bist da plötzlich du …«
Entgeistert starrte Johanna die alte Frau an, die nun mit stoischer Ruhe ein wenig Zimtpulver unter den frisch gemahlenen Kaffee mischte.
»Aber, aber …Ich verstehe nicht …Wieso haben Sie …«
»Ach, Kindchen, das ist eine lange Geschichte. Vom Krieg und von der Liebe – wie immer im Leben.«
Sie lächelte ein wenig wehmütig, während sie sorgsam das Pulver verrührte, und hob in ihrem eigentümlichen Singsang an, ihre Geschichte zu erzählen.
»In meiner Familie gab es einen Ritter, Albert von Falkenstein, ein junger Haudegen aus der Gegend von Regensburg. Er hatte kein Geld und kein Land, weil er der jüngste Bruder war. So folgte er seinem Kaiser in die Ferne, die Heiden zu bekehren. Aber der Saleph verschlang Barbarossa in seinen Fluten, und Albert zog allein nach Jerusalem.«
Johanna hatte Mühe, die Alte zu verstehen. Nicht nur irritierte sie die ungewohnte Melodie der Sprache, auch schien Aglaia immer wieder die Vokale zu vertauschen und einzelne Buchstaben zu verschlucken. Aber ihr Bericht war spannend, sie musste unbedingt das Ende erfahren.
»Und was geschah dann?«, fragte sie wissbegierig.
»Nun, dann einigten sich Sultan Saladin und Richard Löwenherz, sein Feind. Der König ließ ab von Jerusalem. Und Albert kehrte heim. Doch er kam nicht bis Regensburg …«
»Was war denn mit ihm?«
Johanna kam sich vor wie damals als Kind, als sie und ihre Geschwister stundenlang den Geschichten des Vaters gelauscht hatten, der zahlreiche Volksmärchen kannte und diese mit seiner ruhigen, bedächtigen Stimme abends nach dem Essen gern zum Besten gegeben hatte. »Und dann?«, hatten sie stets im Chor gerufen, wenn der Vater eine Pause eingelegt hatte, um die Spannung zu erhöhen.
»Er kam nur bis Antiochia, denn da war Sabel mit dem roten Haar. Ein Blick – und sein Herz war verloren! Die Hochzeit war ein großes Fest. Und der Ritter vertauschte seine Rüstung mit der Schürze des Kellermeisters, denn Sabels Vater besaß einen fruchtbaren Weinberg. Und wenn Albert Sehnsucht hatte nach Regensburg, dann kelterte er Baierwein und sprach: ›Wohl, bairisch Wein ist stark und zäh, wie bairisch Volk!‹«
Sie kicherte erneut.
» Wohl, bairisch Wein ist stark und zäh, wie bairisch Volk!«, sagte sie noch ein paarmal halb singend, halb sprechend.
»Und so haben Sie Deutsch gelernt, die Sprache Ihrer Vorväter?«
Doch Aglaia reagierte nicht auf Johannas Frage, sie war schon wieder vollauf mit ihrem Kaffee beschäftigt.
»Wenn du willst, tu ruhig Nelken hinzu!«, erklärte sie. »Aber nicht zu viel, hörst du? Vor allem nicht, wenn der Kaffee für den Sultan sein soll. Er mag es nicht so pikant.«
Sie hackte ihre krummen Finger so plötzlich in Johannas Arm, dass diese vor Schreck beinah aufgeschrien hätte.
»Und das willst du doch, oder?«
»Ww… was will ich?«, fragte Johanna eingeschüchtert.
Sie hätte mit allem gerechnet an ihrem ersten Tag in Konstantinopel, nur nicht damit, der Kaffeemeisterin des Sultans höchstpersönlich zu begegnen, die noch dazu Deutsch sprach und offenbar nichts dagegen hatte, sie in die Geheimnisse ihrer Kunst einzuweihen. Johanna schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich träumte sie nur. Oder war so übermüdet von der langen Reise, dass sie schon anfing, Gespenster zu sehen.
Doch der feste Griff der Alten um ihren Unterarm belehrte sie eines Besseren. Aglaia hatte mehr Kraft, als man ihr ansah.
»Wenn du mir versprichst«, flüsterte die Armenierin heiser, »dass du niemandem – hörst du: niemandem! – erzählst, dass ich deine Sprache spreche, nehme ich dich mit in den Topkapi-Serail. Und du wirst alles lernen, was du wissen musst …«
Ein Schwaden Weihrauch stieg Johanna in die Nase, sodass sie niesen musste. Vor lauter Tränen in den Augen konnte sie die alte Kaffeemeisterin nur noch durch einen Schleier erkennen. Mit ihrem Buckel und den wirren Haarsträhnen, die unter ihrem Kopftuch hervorlugten, sah sie fast aus wie eine Hexe.
»Äh … ja, ich werde nichts sagen, gewiss nicht. Aber – warum darf das niemand wissen?«, fragte Johanna noch immer leicht verunsichert.
»Weil dieser Harem eine einzige Schlangengrube ist«, erwiderte Aglaia finster. »Intrigen, nichts als Intrigen … Besser, man stellt sich
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