Die Kaffeemeisterin
sie konnte.
Und dann sicherheitshalber noch einmal auf Italienisch, damit auch alle im Haus sie verstanden:
»Ladre! Siete ladre, volete rubarmi le mie cose!«
Sie stieß Josepha, die sich nun sehr wohl ohne Krücken zu bewegen wusste, zu Boden und wandte sich Gül zu. Doch diese ließ den zweiten Henkel der Truhe einfach los. Mit einem lauten Scheppern krachte der kleine Holzschrein zu Boden, während Gül hakenschlagend auf die verlassene Straße hinausrannte, genauso schweigsam, wie sie immer gewesen war.
Johanna wollte ihr nachsetzen, als plötzlich zwei kräftige Arme sie von hinten festhielten und sich ihr eine Hand auf den Mund legte.
»Halt die Goschn, du Schaßgradn!«, zischte eine heisere Männerstimme.
Das konnte nur der Wiener sein, der aus dem Keller hochgekommen war, durchfuhr es Johanna. Sie hatte zwar nicht verstanden, was der Mann zu ihr gesagt hatte, aber dem Tonfall nach musste es etwas Unflätiges gewesen sein. So oder so: Er meinte es nicht gut mit ihr. Sie spürte, wie sich kaltes Metall an ihren Hals legte. Wie auf Kommando begannen ihre Knie zu schlottern.
Im selben Augenblick wurde im Haus gegenüber ein Fensterladen aufgeklappt, und eine verschlafene Männerstimme fragte:
» Cos’è successo? Was geht da vor?«
Im Schein der Kerze, die der Mann in der Hand hielt, erkannte Johanna den Hausknecht mit den langen Koteletten und dem Walrossschnurrbart. Mit der anderen Hand rieb er sich über die müden Augen.
»Xavier? Sofia? Seid ihr das? Was macht ihr denn da mitten in der Nacht für einen Krach!«, keifte eine dünne Frauenstimme vom Nachbarbalkon. »Siete matti?«
»Oa Wort und du bist tot, du Funzn!«
Johanna konnte den Zwiebelatem des Wieners riechen, der dicht an ihrem Ohr gesprochen hatte. Der Druck seines Messers an ihrem Hals verstärkte sich noch. Sie hatte das Gefühl, die Klinge würde ihr jeden Moment in die Haut ritzen. Mucksmäuschenstill stand sie da.
»Alles in Ordnung, ihr guten Leute! Hier wird morgen ganz früh abgereist, und wir verladen nur schon mal das Gepäck. Jetzt ist es noch schön kühl, das wollen wir ausnutzen.«
Der falsche Graf setzte die Truhe ab, die er aus dem Keller hochgeschleppt hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Tochter, die sich erstaunlich schnell von Johannas Schlag erholt hatte, stand hinter ihm, einen eingerollten kleinen Gebetsteppich unter dem Arm.
»Wer reist morgen ab? Wo ist Xavier?«
Dem Hausknecht schien allmählich zu dämmern, dass im Vorhof des Bella Napoli nicht alles mit rechten Dingen zuging. Aber noch hatte er die Ruhe weg.
» Statevene zitti, manaccia la miseria! Haltet endlich mal die Klappe! Ständig müssen wir euren Krach ertragen. Nichts könnt ihr leise machen, wie andere Leute auch. Alles bei euch ist laut!«
Die Nachbarin trat zurück von ihrem Balkon und knallte die Tür hinter sich zu.
Ganz in der Nähe wieherte ein Pferd, und ein hastiger Wortwechsel war zu hören. Anscheinend gab es noch einen weiteren Komplizen, der in einem Wagen wartete, ging es Johanna durch den Kopf, während ihre Knie so sehr zitterten, dass sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Ich darf nicht hinfallen, sagte sie sich, nachher rutscht diesem fürchterlichen Wiener die Klinge aus, und er sticht mir in den Hals. Bitte, lieber Gott, lass mich jetzt nicht ohnmächtig werden!, betete sie.
Sie wusste nicht, wie lange sie in der Umklammerung des Mannes mit dem Messer gestanden und dabei zugesehen hatte, wie der Ungar mit seiner Tochter, dem hinzugekommenen zweiten Mann und der tief verschleierten Gül ihr kostbares Hab und Gut zu hohen Kistentürmen auf der Straße aufbaute. Irgendwann hörte sie Hufgeklapper und das Rumpeln von Rädern, die näher kamen.
Das war’s dann jetzt wohl!, dachte sie mit ohnmächtiger Wut. Gleich laden sie meine Sachen auf ihren Wagen und fahren damit zum Hafen, wo sie sich alle einschiffen werden. Und ich sitze hier in Neapel fest und bin wieder so arm wie eine Kirchenmaus.
Dicke Zornestränen rollten ihr die Wangen herunter. Als sie zu schniefen begann, presste ihr der stinkende Wiener sofort das Messer wieder fester gegen die Schlagader.
»Halt bloß die Goschn!«, knurrte er in ihr Ohr.
Plötzlich sah Johanna zwei kleine dunkle Schatten dicht hintereinander vor ihren Füßen entlangflitzen. Die Katzen!, schoss es ihr durch den Kopf. Meine Rettung!
Wie von ihr bestellt ertönte in dem Moment ein lautes anhaltendes Fauchen, das fast wie ein menschlicher Schrei klang.
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