Die Kaffeemeisterin
verließ ohne ein Wort des Abschieds den Raum.
24. KAPITEL
S chweißgebadet schreckte Johanna aus einem ihrer Angstträume auf. Seit sie den Brief von Ludwig Haldersleben erhalten hatte, wurde sie von diesen Träumen verfolgt. Sosehr sie sich auch angestrengt hatte, sie hatte sich wieder nicht von der Stelle bewegen können, um Lili und Margarethe zu helfen. Die beiden Mädchen trugen Sträflingskleidung und waren mit Ketten an einem kleinen Pult befestigt. Vor ihnen stand mit erhobenem Rohrstock die Direktorin des Waisenhauses, in das man sie gebracht hatte, und forderte die weinende Lili auf, ihre Hände nach vorne zu strecken.
Was für ein Glück, dass alles nur ein Traum gewesen war! Johannas Bettlaken waren zu einem Knäuel zerwühlt, ihr Kissen musste heruntergefallen sein. Draußen paarten sich lautstark zwei Katzen. Davon musste sie aufgewacht sein. Kaum zu glauben, dass diese ausgemergelten Tiere die Kraft aufbrachten, einen solchen Lärm zu veranstalten!
Johanna stieß ein erleichtertes Glucksen aus. Wie passend, dass hier bei Xavier und Sofia sogar die Katzen hemmungslos der Liebe frönten! Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund, um Gül nicht mit ihrem Lachen aufzuwecken. Sie blinzelte mit beiden Augen, um ganz sicherzugehen, dass sie sich nicht verguckt hatte. Kein Zweifel: Das Strohlager neben der Zimmertür war leer. Doch wo war Gül? Was war geschehen?
Schlagartig war sie hellwach. Als sie sich aufsetzte, vermisste sie das klimpernde Geräusch ihrer Schlüsselkette, die sie seit der Schiffspassage kein einziges Mal abgelegt hatte. Unwillkürlich griff sie sich an den Hals. Nichts! Die Kette mit den Schlüsseln war weg – genauso wie Gül.
Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett. Der Mond leuchtete hell genug, um sie die Umrisse in ihrem Zimmer erkennen zu lassen, aber kaum hatte sie den Flur erreicht, war es so düster, dass sie sich zum Ausgang vortasten musste. Hastig rannte sie in ihrem Nachtgewand über den Innenhof. Kleine Steinchen pikten ihr in die nackten Fußsohlen.
Als sie in die dunkle Gaststube stürzte, stieß sie frontal gegen eine Gestalt, die dort offenbar Wache geschoben hatte. Ein Schwall fremdländischer Worte ergoss sich auf sie. Johanna erschrak. Der Graf, das war doch die Stimme des ungarischen Grafen! Was machte der denn hier mitten in der Nacht?
Wieder schnauzte die Stimme sie an. Johanna begriff, dass der Mann sie verwechselt haben musste. Schnell zog sie sich in eine Ecke des Raumes hinter einen Pfeiler zurück. Irgendetwas stimmte hier nicht, wurde ihr klar. Und zwar ganz und gar nicht.
»Was is’n los?«, hörte sie nun auf Deutsch jemanden rufen.
Es klang dumpf, als befände sich der Rufer im Keller, aber der wienerische Einschlag in seiner Stimme war dennoch deutlich zu vernehmen.
»Ich krieg’ die deppaten Dinger net bewegt – du musst mir helfen, Attila!«, brüllte der Wiener erneut, als ihm niemand antwortete.
Johanna erstarrte. Die »deppaten Dinger« mussten ihre Truhen sein. Und der ungarische Graf – wenn er denn überhaupt ein Graf war – plante ganz offensichtlich, zusammen mit seinem Wiener Spießgesellen ebendiese Truhen aus dem Hotelkeller zu räumen. Weil er sie mit nach Wien nehmen wollte – warum sonst? Und das Schlimmste, dämmerte es ihr plötzlich: Gül steckte mit diesen Gaunern unter einer Decke!
Johanna schlug die Arme um ihren Körper. Ihr war kalt. Hätte sie sich bloß etwas übergezogen! Doch das hätte auch nicht wirklich etwas an ihrer Situation geändert: Hier war eindeutig Gefahr im Verzug. Zumal der »Graf« begriffen haben musste, dass man ihn und seinen Kumpanen bei ihrem Diebeszug ertappt hatte. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden nach ihr suchen würden. In der Gaststube war es zwar dunkel, aber so düster nun auch wieder nicht, als dass man sie nicht vielleicht doch entdecken könnte. Sicher würde auch bald die Morgendämmerung einsetzen. Was sollte sie tun?, überlegte sie fieberhaft. Ja, es gab nur eins, beschloss sie dann, sie musste Xavier alarmieren. Der Wirt des Bella Napoli musste ihr helfen, und zwar schleunigst!
Doch mit einem Mal ging alles ganz schnell. Von außen wurde die Tür zur Gaststube aufgerissen. Im Mondlicht sah Johanna Gül und das kranke Mädchen auf der Schwelle stehen, die zwischen sich die kleine Truhe mit ihren wertvollsten Habseligkeiten hielten. Ohne nachzudenken stürzte sich Johanna wie eine Furie auf die beiden Frauen.
»Diebinnen!«, schrie sie, so laut
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