Die Kaffeemeisterin
In einem weiten Sprung warf sich das größere der beiden Tiere auf das andere und verbiss sich in seinem Nacken. Eine wilde Keilerei entwickelte sich zwischen den beiden Katzen, begleitet von einem ohrenbetäubenden Krach aus den seltsamsten Fauch-, Zisch- und Knurrlauten.
Sofort ging wieder die Balkontür auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf. Und auch der Hausdiener steckte erneut seinen Kopf aus dem Fenster. Diesmal schien er schneller zu begreifen. Johanna konnte noch sehen, wie er vom Fenster zurücktrat und in den Raum hinein verschwand, dann spürte sie auch schon, wie sich von oben eine Ladung eiskaltes Wasser auf sie und ihren Bewacher ergoss.
»Kruzzitiakn!«, fluchte der Mann und lockerte unabsichtlich seinen Griff um ihren Körper.
Sofort entwand sich Johanna ihm und stürzte zurück in den Hoteleingang, wo sie geradewegs in den Hausknecht hineinstolperte.
»Bisogna svegliare Xavier!« , rief sie ihm mit letzter Kraft zu.
Dann gaben ihre Beine endgültig nach, und sie sank erschöpft auf den kalten Kachelboden.
Doch Xavier aufzuwecken war mittlerweile gar nicht mehr nötig. Dicht gefolgt von Sofia, die in ein knappes Negligé gehüllt war, stürmte er die Treppen vom Obergeschoss hinunter auf die Straße. Der ehemalige Pirat erfasste im Nu die Lage, steckte eine Hand in den Mund und stieß denselben ohrenbetäubenden Pfiff aus, den Johanna schon bei ihrer Ankunft vernommen hatte. Innerhalb kürzester Zeit öffneten sich sämtliche Fensterläden der umliegenden Häuser, so schnell, als hätten die Leute gar nicht geschlafen, sondern nur darauf gewartet, endlich einmal aus ihrer Langeweile erlöst zu werden. Männer ohne Hemd traten vor die Türen, Frauen mit aufgedrehten Haaren lehnten aus den Fenstern, Kinder fingen an zu plärren oder vergnügt durcheinanderzukreischen.
» Fermate il ladro! Haltet den Dieb!«, brüllte Xavier quer über die Straße dem davonratternden Wagen hinterher.
Mithilfe von Sofia, deren Negligé ihren gut gebauten Körper mehr präsentierte als verhüllte, hatte sich Johanna aufgerappelt und war nach draußen auf die Straße gehumpelt. Sie sah, wie der Wiener auf das Trittbrett des Karrens sprang, auf dem sich bereits der falsche Graf, seine Tochter und Gül befanden. Das Gesicht beharrlich nach vorne gewandt, versuchte die Haremssklavin ihren wehenden Schleier im Fahrtwind zu bändigen. Sie allein saß etwas erhaben, wie auf einem Thron, während die anderen Flüchtigen auf dem Boden des Karrens kauerten.
Also hatten sie doch nicht alles mitgehen lassen, erkannte Johanna, nur Gül hatte auf einer Kiste gesessen, die anderen nicht. Sie drehte sich um. Tatsächlich standen ihre Truhen noch alle so am Straßenrand, wie die Diebe sie dort aufgestapelt hatten. Und ein paar Schritte weiter lag die kleinste Truhe mit den eingeritzten Koranversen, die die beiden Frauen hatten fallen lassen, als sie sich auf sie gestürzt hatte.
So schnell sie auf ihren wackeligen Beinen konnte, eilte sie zu der kleinen Truhe. Der Schlüssel steckte im Schloss, und als Johanna vorsichtig den Deckel anhob, sah sie auf Anhieb, dass die Geschenke der Sultana zwar etwas durcheinandergerüttelt, aber vollzählig waren. Auch der Beutel mit den Golddukaten war noch in den edelsteinbesetzten Gesichtsschleier gehüllt, in den sie ihn vorsichtshalber eingewickelt hatte. Sie atmete erleichtert auf: Die Coffeemühle war gerettet. Und ihre Mädchen auch.
» Guarda! Deine Schlüssel!« Mit der schweren Kette in der Hand, die Gül Johanna in der Nacht vom Hals genommen hatte, trat Sofia freudestrahlend auf sie zu. »Sie lag auf der Treppe zum Keller.«
»Und in diesen Keller bringen wir jetzt mal ganz schnell auch die anderen Kisten wieder«, sagte Xavier. »Bis auf eine sind noch alle da – ich habe sie durchgezählt. Erano dodici, vero? «
Er schien es aufgegeben zu haben, sich an die Verfolgung der Diebesbande zu machen. Auch die Nachbarn, die eben noch so tatendurstig gewirkt hatten, zogen sich allmählich in ihre Häuser zurück. Nur der Hausdiener machte sich daran, die Kisten auf einem Brett mit untergeschnallten Rädern von der Straße weg ins Hotel zu transportieren.
»Aber was ist mit dem falschen Grafen? Wir können ihn doch nicht so einfach laufen lassen! Das ist ein Betrüger, ein Gauner, der seine Schergen auf unschuldige Frauen losjagt. Man hat mich mit einem Messer bedroht!«
Johannas Stimme überschlug sich fast. Sie fühlte, wie vor lauter Empörung ihre Kräfte wieder
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