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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Mut machen, oder was bedeutete diese Geste?, fragte sich Gabriel leicht irritiert. Er spürte schon wieder jenen unwiderstehlichen Drang, an die frische Luft zu rennen, der ihn fast immer überkam, wenn er sich länger in der guten Stube seiner Eltern aufhielt.
    »Gabriel ist Musiklehrer und hat lange in Italien gelebt. Gell, Gabriel?«, erklärte Esther Stern, als die Stille im Raum unangenehm zu werden begann.
    Sie und Gabriel hatten auf zwei Sesseln Platz genommen, die dem Sofa gegenüberstanden. Auf dem Tischchen vor ihnen stand eine Karaffe koscherer Apfelwein mit vier Bechern, alle unbenutzt.
    Am liebsten wäre Gabriel seiner Mutter ins Wort gefallen. Er war schließlich Komponist, kein »Musiklehrer«. Er unterrichtete nur, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn er ehrlich mit sich war, musste er allerdings zugeben, dass das Unterrichten einen immer größeren Teil seiner Zeit in Anspruch nahm. Statt sich um seine Oper zu kümmern, brachte er nun auch noch dem kleinen Mosche Bär, dem Bruder seiner Geigenschülerinnen Eva und Babette, die deutsche Sprache, die deutsche Schrift und Rechnen bei. Denn im Cheder, der jüdischen Schule, lernten die Jungen nur die hebräische Schrift und die Thora, das war heute noch genauso wie zu seiner Zeit. »Alles schön und gut«, hatte Mosche Bär senior zu ihm gesagt, »aber der Junge soll schließlich mal ins Geschäft einsteigen.«
    Er schaute verstohlen zu Rachel hinüber.
    Irgendetwas stimmte mit dem Mädchen nicht, dachte er. Sonst hätte die Familie nicht ihn als Bräutigam für sie ausgesucht. Es gab so viele bessere Partien als ihn. Sowohl in Worms als auch in Frankfurt. Vielleicht war sie stumm, überlegte er. Oder verrückt … Vielleicht brauchte die Familie Lazarus aus Worms aber auch ganz einfach jemanden in ihrer Familie, der die Frankfurter Stättigkeit besaß, um ihre Geschäfte auszuweiten, sann er weiter. Er wusste von seiner Mutter, dass Rachels Vater, Joel Lazarus, ein armer Landjude gewesen war, als er Brunhilde Kahn geheiratet hatte. Brunhilde musste in ihm etwas gesehen haben, was sonst niemandem aufgefallen war. Damals hatte ihre Heirat als Mesalliance großen Stils gegolten, doch inzwischen war Joel Lazarus zu einem der größten Pferdehändler im süddeutschen Raum aufgestiegen. Es hieß sogar, dass er kurz davor sei, von seinem Gönner, dem Kurfürsten von der Pfalz, zum Hoffaktor ernannt zu werden, und dass dieser ihm ein eigenes Gut am Rhein in Aussicht gestellt habe. Rachel, genauso wie ihre kleinen Schwestern Recha und Jeanette, konnte auf eine erhebliche Mitgift zählen.
    Als hätte sie seine Gedanken erraten, bohrte Rachel plötzlich ihren Blick in den seinen. Ohne Scheu starrte sie ihn nun aus ihren großen braunen Augen an. Sie hielt den Kopf noch immer leicht gesenkt, sodass weder ihre Mutter noch Esther Stern den Blickwechsel bemerkten.
    Gabriel war der Erste, der die Augen abwandte. Er wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Wahrscheinlich war sie verrückt, beschloss er dann. Noch nie hatte eine Frau ihn mit einem solchen Blick angesehen. So prüfend. Und unerbittlich. Als wollte sie ihm auf den Grund der Seele sehen. Aber was suchte sie dort? Sie wusste doch genau, dass das Ganze arrangiert war! Er saß keineswegs freiwillig hier, sondern machte allenfalls gute Miene zum bösen Spiel. Sie würde doch nicht etwa erwarten, dass er ihr irgendwelche Gefühle entgegenbrachte! Wenn sie auch einen äußerst seltsamen Eindruck auf ihn machte: Auf den Kopf gefallen schien sie nicht zu sein.
    »Hör mal, Gabriel, was hältst du davon, wenn du Rachel deine neue Geige zeigst?«, fragte ihn seine Mutter in einem Tonfall, mit dem man kleine Kinder zum Spielen schickt.
    Auch ihr schien die Situation unangenehm zu sein. Sie schien zu ahnen, dass er kurz davor war, aufzuspringen und türenknallend den Raum zu verlassen. Sicher hatte sie Angst, er würde, wie bei seinem Studium, wieder eigene Wege gehen wollen.
    »Eine hervorragende Idee!«, pflichtete ihr Rachels Mutter eifrig bei. »Rachel hat eine so schöne Stimme. Vielleicht können die beiden später einmal zusammen musizieren«, ergänzte sie in ihrem pfälzischen Singsang.
    Gabriel konnte sein Unbehagen über die Situation kaum mehr verbergen. Der jungen Frau schien es nicht viel anders zu ergehen. Sie sah ihre Mutter kalt an, ergriff ihr Umschlagtuch und stand auf.
    Gabriel beeilte sich, ihr die Tür aufzuhalten. Leichtfüßig schritt sie an ihm vorbei in den Korridor hinaus,

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