Die Kaffeemeisterin
reißen.
»Gut, und die Mädchen waren in der Zwischenzeit bei Cornelia. Aber wo sind sie jetzt?«, fasste sie den Bericht der Freundin knapp zusammen.
»Warte, ich wollte erst noch erzählen, was aus Anne und Sybilla geworden ist«, fuhr Elisabeth ungerührt fort. »Weißt du, dein Krämer, Jehuda ben Abraham, hat ihnen eine Stelle als Sabbatweiber vermittelt. Ist das nicht großartig? Du weißt ja sicher, dass die Juden am Sabbat gar nichts machen dürfen, und ihr Gesinde darf auch nichts machen. Da haben sich die Besser gestellten für diesen Tag Christen verpflichtet, damit jemand den Ofen anzündet und das Essen aufwärmt. Das ist wirklich gut bezahlt und hat den beiden bestens über die Runden geholfen. Sie haben sogar uns was von ihrem Geld abgeben können. Und Schosch – bevor er dann bei Ludwig anfangen konnte.«
Sie drückte dem Kartenmacher die Hand, der hingerissen an ihren Lippen hing und gar nicht mitzubekommen schien, dass Johanna vor Nervosität fast platzte.
Wo war bloß Halderslebens Scharfsinn abgeblieben?, fragte sie sich resigniert. War er wirklich so blind vor Liebe, dass er nicht merkte, wie Elisabeth sich in ihren weitschweifigen Erklärungen verzettelte, statt ihr, Johanna, Rede und Antwort zu stehen? Sie musterte sein glühendes Gesicht, das nun auch durch den Alkohol mehr Farbe angenommen hatte. Nein, selbst wenn der Kartenmacher gewollt oder gekonnt hätte, auch ihm wäre es wahrscheinlich nicht gelungen, Elisabeth zur Eile anzutreiben. Sie war einfach so – wann immer Elisabeth eine Abkürzung nehmen sollte, wurde sie konfus.
»Schosch arbeitet hier? Ich hoffe nur, er stellt sich halbwegs vernünftig an«, wandte sich Johanna beiläufig an Ludwig Haldersleben. »Aber jetzt will ich wirklich wissen, wo meine Mädchen sind!«, sagte sie dann etwas lauter als beabsichtigt in die Runde.
»Bei Philipp Ingen«, erbarmte sich der Kartenmacher ihrer endlich. »Er hat sie Elisabeth weggenommen. Das war um Mariä Lichtmess herum. Tut mir leid, Johanna, wir haben versucht, Einspruch zu erheben, aber er ist der offizielle Vormund. Das Recht ist auf seiner Seite.«
Sie hatte es die ganze Zeit geahnt – die Tatsache, dass Elisabeth ohne die Kinder in Frankfurt war, ihr langes Drumherumgerede, Ludwig Halderslebens Schweigen … Trotzdem traf sie die Nachricht mit voller Wucht.
Johanna schob die Kaffeetasse und das Schnapsglas zur Seite und stützte den Kopf in die Hände. Sie schloss die Augen, damit die Tränen, die sofort in ihr hochgestiegen waren, nicht hervorquellen konnten. Alles war umsonst gewesen! Nichts, was in den verdammten Truhen war, um die sie so gekämpft hatte, ihr ganzer neuer Reichtum, mit dessen Hilfe sie dort wieder hatte anfangen wollen, wo sie vor ihrer Abreise nach Venedig aufgehört hatte – all das konnte den Verlust der Mädchen nicht aufwiegen. Sie war zu spät gekommen. Was nützte ihr ein florierendes Kaffeehaus ohne ihre Töchter?
Elisabeth stand auf. In ihrem bunten Kleid und den offenen blonden Haaren sah sie aus wie damals als kleines Mädchen, als Johanna und sie immer Prinzessin gespielt hatten.
»Was hast du gesagt, Ludwig? Jetzt siehst du, was du angerichtet hast!«, rief sie mit leichtem Vorwurf in der Stimme, während sie sich neben Johanna auf den Boden kniete, die Arme um ihre Hüften schlang und den Kopf gegen ihre Schulter lehnte. »Ich wollte es dir schonend beibringen, Hanne«, schniefte sie unter Tränen.
Als nun auch Johanna in lautes Schluchzen ausbrach, erhob sie sich wieder und füllte den letzten Rest aus der Kaffeekanne in eines der Schnapsgläser, in dem sich noch ein Schluck Apfelbrand befand.
»Hier, trink!«, sagte sie fest.
Sie hielt das Glas an Johannas Lippen und flößte ihr das lauwarme Getränk ein, als wäre es Medizin.
27. KAPITEL
J ohanna hatte den Jagdtrophäen den Rücken zugewandt und schaute durch das große Fenster auf das morgendliche Treiben hinunter. Auf der Zeil gab es einiges zu sehen. Gerade erst war ein vor einen Einachser gespanntes Pferd scheinbar grundlos zusammengebrochen. Sein Besitzer hieb mit der Peitsche auf das Tier ein, das sich weigerte, wieder aufzustehen. Ein Ring von Schaulustigen hatte sich um das armselige Spektakel gruppiert.
Es war ein ungewöhnlich kalter, verregneter Junitag. Die meisten Passanten hielten kleine Schirme in der Hand, die eigentlich eher zum Schutz vor der Sonne dienten, oder hatten sich Tücher um den Kopf gebunden, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. Sie selbst
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