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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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ihre Persönlichkeit, hatte sich verändert. Sie war eine alleinstehende erwachsene Frau, die mit Zähnen und Klauen ihre Familie und ihr Hab und Gut verteidigen musste, egal gegen wen, und koste es, was es wolle. Weder die Ordnung der Stadt Frankfurt noch erst recht nicht die Ordnung der Welt würden in sich zusammenstürzen, nur weil ein jüdischer Musiker in einem christlichen Kaffeehaus, in ihrem Kaffeehaus, aufgespielt hatte.
    »Nun, wo bleibt denn Ihr Zeuge, Eppelsheim?«, fragte der Jüngere Bürgermeister mit gelangweiltem Unterton und schaute sich auffällig im Saal um.
    Der Criminalreferier bedeutete dem Polizeiadjutanten mit theatralischen Gesten, endlich den Zeugen Martin Münch vorzuführen. Der Kükenflaumige lief mit hochrotem Kopf aus dem Saal. Stimmengemurmel kam auf.
    »Ruhe!«, brüllte der Jüngere Bürgermeister und betätigte wild bimmelnd seine Glocke.
    Der Kükenflaumige kam zurück in den Saal und flüsterte dem Criminalreferier etwas ins Ohr, woraufhin sich dieser wieder vor dem großen Tisch in Position brachte und mit deutlich kleinlauterer Stimme verkündete:
    »Unseren Männern ist es noch nicht gelungen, den Zeugen hierherzubringen. Wir möchten eine Pause beantragen, Edle Herren.«
    Der Jüngere Bürgermeister sprang so schnell von seinem Lehnstuhl auf, dass dieser mit einem lauten Poltern nach hinten umkippte. Der Ratsherr von der zweiten Bank schreckte hoch.
    »Für wen halten Sie sich eigentlich, Crimimalreferier Eppelsheim?«, rief er zornbebend. »Wir haben gerade erst angefangen – und Sie wollen schon eine Pause machen? Meinen Sie, wir haben ewig Zeit? Haben Sie nicht gesehen, wie viele Leute da draußen auf dem Flur warten? Was denken Sie, wie viele Fälle ich hier heute noch entscheiden muss? Das ist mit Abstand der am schlampigsten vorbereitete Fall, der mir je untergekommen ist! Sie wollen hier wohl ein Exempel statuieren und bauschen den Fall wer weiß wie sehr auf, statt der Frau einfach ein saftiges Bußgeld aufzubrummen. Dem Stadtsäckel entgehen wertvolle Steuereinnahmen, weil Sie der Frau seit über einem Jahr die Gerechtigkeit entzogen haben, mein geschätzter Kollege von der zweiten Bank und ich müssen uns seit einer halben Stunde Ihre unausgegorenen Äußerungen über Juden und Nichtjuden anhören, und unsere Piketts sind nicht in der Lage, Ihren Hauptzeugen herbeizuschaffen …« Er senkte lauernd die Stimme: »Gibt es ihn denn überhaupt, diesen sagenhaften ›Zeugen‹?«
    Johanna folgte mit den Augen den verzweifelten Blicken des Criminalreferiers zur großen Saaltür hin. Vor dem einen halb geöffneten Flügel stand mit verlegenem Gesicht und hochgezogenen Schultern der Kükenflaumige und rang bedauernd die Hände. Sein weniges Haar klebte schweißnass am Kopf, seinen Dreispitz schien er im Eifer des Gefechts verloren zu haben.
    Auch der Jüngere Bürgermeister hatte seinen Kopf zur Tür gedreht. Er schien genug gesehen zu haben. Mit hochgezogenen Augenbrauen wandte er sich wieder zu dem vor ihm stehenden Criminalreferier um.
    »Wissen Sie, was ich mit diesem Ihrem Fall mache, mein lieber Criminalreferier?«
    Er klappte den Deckel der vor ihm liegenden Akte so laut zu, als knallte er eine Tür ins Schloss. Dann richtete er das Wort an den Protokollanten, einen jungen Mann mit Segelohren, der die ganze Zeit mit apathischer Miene mitgeschrieben hatte.
    »Schreiben Sie an das Rechneiamt, dass der Witwe Berger umgehend ihre Gerechtigkeit zurückzugeben ist! Punkt, das war’s. Die Akte wird geschlossen. Es gibt keinen Zeugen und damit auch keine Anklage.«
    Johanna war zu benommen, um die Worte des Jüngeren Bürgermeisters richtig zu verstehen. Sie bekam nur mit, wie Advokat Gruber ihr seine Glückwünsche aussprach und sie zu den bereits im Flur auf sie wartenden Freunden aus dem Saal schob. Erst als Elisabeth und die beiden Mädchen sie in ihren kleinen Kreis zu ziehen versuchten und singend und tanzend »Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!« riefen, wurde ihr bewusst, was geschehen war. Der Prozess war zu Ende, noch bevor er richtig angefangen hatte. Martin Münch, der Kronzeuge der Anklage, war nicht erschienen. Sie hatte weder lügen noch einen Meineid schwören müssen. Alles war vorbei, und sie hatte ihre Gerechtigkeit wieder.
    »Meine liebe Johanna, ich wusste doch, es würde gut aus gehen!«
    Mit ausgebreiteten Armen und schaukelndem Ohrgehänge trat Trudi Ingen auf sie zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Auch die anderen kamen nach und

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