Die Kaffeemeisterin
Gestrenge, Hoch-Edle, Veste und Hochgelehrte, Wohlfürchtige, Hoch- und Wohlweise, Großgünstige und Hochgebietende Herren«, redete er die beiden Ratsherren voller Pathos mit ihren Titeln an.
Der Jüngere Bürgermeister nickte ihm gelangweilt zu.
»Fangen Sie an, Criminalreferier Eppelsheim!«
Mit seinen hageren Zügen und dem fein gestutzten Bart sah der Criminalreferier aus, als wäre er geradewegs einem alten spanischen Gemälde entstiegen, unter das der Maler »Der Inquisitor« gesetzt hätte. Johanna hatte gehört, dass er auch bei Kleinigkeiten auf harte Strafen drängte. Mit seiner geübten Stimme donnerte er nun los:
»Der Kaffeehauswirtin Witwe Johanna Berger wird vorgeworfen, mehrfach gegen die Ordnung der Stadt Frankfurt verstoßen zu haben. Insbesondere soll sie jüdische Musikanten in ihrem Etablissement beschäftigt haben.«
Er machte eine Kunstpause und drehte sich zu Johanna um. Den hageren Zeigefinger auf sie gerichtet, durchbohrte er sie mit einem stechenden Blick.
Fehlte nur noch die schwarze Mönchskutte der Dominikaner, und man käme sich vor wie bei einem Hexenprozess!, schoss es ihr durch den Kopf. Der Mann machte ihr Angst. Wenn sie sich da mal nicht verschätzt hatte …
»Nicht nur ist ein Jude bei ihr im Lokal aufgetreten, nein, er hat auch noch die Frechheit besessen, sich als Italiener auszugeben – einvernehmlich mit Frau Berger im Übrigen! Dies ist aber nicht der erste Verstoß unserer Beklagten gegen die geltende Ordnung. Kurz zuvor hatten unsere Piketts schon einmal in besagter Coffeemühle zu tun, weil ihnen gemeldet wurde, dass dort aus dem Kaffeesatz gelesen werde. Wir hatten seinerzeit über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder von verschiedenen Seiten Beschwerde über die Coffeemühle erhalten, sodass wir das Etablissement unter Beobachtung gestellt hatten. Wie wir alle nun wissen, traf unsere Vermutung, dass es dort nicht mit rechten Dingen zugehe, vollstens zu.«
Der kükenflaumige Polizeiadjutant – Johanna kam es so vor, als hätte sich sein Schopf innerhalb des letzten Jahres noch mehr gelichtet – nickte heftig.
»Die Juden haben den Herrn ans Kreuz geschlagen!«, fuhr der Criminalreferier in immer fanatischerem Tonfall fort. »Sie sind die Feinde des Christentums! Deshalb gibt es in dieser und in allen anderen Städten Gesetze, die den Umgang der Christen und der Juden miteinander regeln. Wo kämen wir denn hin, wenn die Juden hier machen könnten, was sie wollen? Ich sage es Ihnen: Sie hätten ruckzuck die ganze Stadt übernommen! Nicht mehr Sie wären dann Bürgermeister, nein, wir hätten hier einen jüdischen Bürgermeister!«
Triumphierend blickte sich Heinrich Eppelsheim im Publikum um, das gebannt an seinen Lippen hing. Auf den Mienen ihrer Freunde und Bekannten las Johanna blankes Entsetzen. Der Jüngere Bürgermeister verzog fein das Gesicht, wie jemand, der zwar grundsätzlich ähnlicher Meinung war, aber es nicht angemessen fand, bestimmte Dinge in dieser Form zu sagen. Der rechtsgelehrte Ratsherr von der zweiten Bank lauschte den Ausführungen des Criminalreferiers mit hochkonzentriertem Blick. Er war deutlich jünger als der Bürgermeister und hatte eine außergewöhnlich hohe Stirn, die fast die Hälfte seines Gesichts einzunehmen schien. Philipp Ingen hatte ihr erzählt, dass er aus einer der großen Frankfurter Handelsfamilien stammte und in Marburg die Juristerei studiert hatte.
Mit sich beinahe überschlagender Stimme fuhr der Inquisitor fort:
»Die Juden in dieser Stadt werden von Tag zu Tag unverschämter. Wenn wir ihnen nicht endlich Einhalt gebieten, breiten sie sich immer mehr aus und verdrängen uns Christen. Gibt es in dieser Stadt ein einziges Gewölbe oder Lagerhaus, das nicht vollgestopft ist mit jüdischem Plunder und jüdischer Trödelware? Und das, obwohl es den Juden verboten ist, im Großen zu handeln! Ein Gesetz, das ja eigens dazu da ist, uns Frankfurter Bürger zu schützen. Denn es liegt nun einmal in ihrer Natur, den ganzen Tag zu schachern und zu feilschen. Und welcher ehrliche Frankfurter steht nicht bis zum Hals bei einem von diesen Halsabschneidern in der Kreide?«
Der Jüngere Bürgermeister trommelte nun ungeduldig mit den Fingern auf den großen Eichentisch.
»Gut, mag dem so sein, wie Sie sagen, Eppelsheim – was ich persönlich jedoch nicht unterschreiben würde –, aber lassen Sie uns jetzt bitte vom Allgemeinen wieder zu diesem besonderen Fall hier kommen. Was hat das alles mit der Witwe Berger
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