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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Münch kam mit einem Eimer Wasser und mehreren Küchentüchern angelaufen, um Ludwig Haldersleben kalte Wickel zu machen.
    »Das hat keinen Zweck. Wir müssen einen Arzt holen!«, sagte Johanna. »Er wird innere Verletzungen haben, nach dem, was Gottfried mit ihm angestellt hat! Sonst überlebt er das womöglich nicht.«
    »Ist das Ungeheuer tot?«, rief ein an einen Ast geklammerter Mann mit einer blauen Fischermütze.
    »Ja, der Bär ist tot.«
    Vorsichtig hatte Martin Münch mit der Spitze von Christine Haberkorns Schirm in den leblosen braunen Fellberg gepikt, um sich zu vergewissern, dass von der Bestie kein Unheil mehr ausgehen konnte. Nun schlug er mit dem Schirm nach dem kläffenden weißen Hündchen, das sein Bein gehoben hatte, um gegen den Kadaver zu pinkeln.
    »Ich hole Doktor Stern, das ist nur einmal über die Brücke!«, hörte Johanna sich sagen.
    »Beeil dich!«, schrie Ännchen ihr hinterher.
    Doch Johanna nahm ihre Worte schon gar nicht mehr wahr. An den abgekämpften Schreinergesellen vorbei, die es sich hinter dem Torbogen im Straßendreck gemütlich gemacht hatten, rannte sie so schnell wie möglich die Elisabethengasse entlang, bog in die Brückengasse ein und lief in Richtung Main. Eine dünne Blutspur zog sich auf dem Boden entlang, die nur Justus von Zimmer mit seiner aufgeplatzten Wange hinterlassen haben konnte. Im Laufen versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, die wild in ihrem Kopf hin und her flogen. Das Schild, das seit Jahrhunderten am Eingang der Stadt stand, stach ihr unangenehm in die Augen. Wie hatte sie nur so viele Jahre in Frankfurt verbringen können, ohne sich jemals daran zu stören? Ein Jude saugte an den Zitzen einer Sau, während das Tier einem anderen Juden, auch er in der typischen Tracht, in den Mund schiss. Seit Gabriel in ihrem Dasein aufgetaucht war, fühlte sie sich durch die »Judensau« persönlich beleidigt. Das Schild muss weg, dachte sie, während sie daran vorbeieilte, auf dem Weg zu dem jüdischen Arzt, dem sie das Leben ihres Freundes Ludwig Haldersleben anvertrauen wollte.
    »Net so stürmisch, Mädsche! Wo wolle mer denn hie?«, versuchte der Brückenwächter sie aufzuhalten.
    Rasch befreite Johanna ihren Ärmel aus seinem Griff.
    »Ich muss einen Arzt holen«, rief sie dem Mann im Laufen zu. »Ein Freund von mir ringt mit dem Tod. Es ist ein Notfall, ganz dringend!«
    Sie hielt sich die Hand in die Flanke gestützt, um ihr Seitenstechen zu mildern.
    »Ja, was ist denn heute los? Schon wieder einer!«, hallten die Worte des zweiten Wächters aus dem Torbogen hinter ihr her.
    Zu ihrer Linken ging gerade die Sonne unter, eine riesige orangefarbene Kugel. Die letzten Strahlen färbten das sich kräuselnde Wasser golden. So ein wunderschöner Anblick, dachte Johanna unwillkürlich. Und dabei sah die Wirklichkeit ganz anders aus …
    Als sie kurz darauf durch die Brückenmühle hastete, entdeckte sie wenige Schritte vor sich Justus von Zimmer. Und dann Gottfried Hoffmann, der auf dem Brückengeländer stand. Direkt neben dem Brückenkreuz!
    Keuchend blieb sie stehen. Hoch oben über dem Apfelweinwirt thronte der in der Abendsonne funkelnde goldene Brickegickel. Früher wurden an dieser Stelle die zum Tode Verurteilten in den Main gestürzt, weil dort die Strömung am stärksten war, sodass die gefesselten Sünder sofort ertranken Aber Gottfried Hoffmann schien weit davon entfernt, seinem Leben ein Ende bereiten zu wollen. Mit einer Hand hielt er sich am Brückenkreuz fest, in der anderen schwang er wütend seine Axt. Wie ein Feldherr, dessen gesamte Armee schon in den Fluten versunken ist und der nun ganz allein seine letzte Schlacht schlagen muss.
    Mit einem eleganten Satz sprang der Neffe des Schultheißen nun ebenfalls auf das Brückengeländer. Sein Hemd war vom Kragen bis zu den Achseln so tiefrot gefärbt, dass es aussah, als hätte er sich einen roten Schal umgelegt. Der Bär musste ihm mit seinem Prankenhieb tiefe Wunden im Gesicht beigebracht haben.
    Johanna hielt den Atem an, als Justus wie ein Seiltänzer mit ausgestreckten Armen auf Gottfried zubalancierte. Wie ein Seiltänzer, der ein paar Becher Apfelwein intus hatte.
    »Ich krieg’ dich noch, Gottfried!«, lallte er und schüttelte seinen erhobenen Zeigefinger, als würde er einen ungezogenen Buben ausschimpfen.
    »Justus«, rief Johanna warnend, »er hat eine Axt! Pass bloß auf!«
    »Meinst du, ich bin blind? Hol die Piketts, Johanna! Wir kriegen den. Diesmal kommt er uns nicht davon!«
    Er

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