Die Kaffeemeisterin
Ganz offensichtlich hatte der Schnapsbrenner Angst! Und in der Tat schien es eher so, als ob das Tier ihn an der Leine hielte statt umgekehrt.
»Er gehorcht mir einfach nicht, Gottfried!«
Mit schreckgeweiteten Augen fuchtelte Jockel Lauer zaghaft mit der Peitsche herum, die er in der anderen Hand hatte.
»Das ist ein Raubtier, kein Schoßhund, Jockel! Halt ihn einfach fest!«, knurrte der Apfelweinwirt mit zusammengebissenen Zähnen, während er noch immer versuchte, Ludwig Haldersleben von seinem Rücken abzuschütteln.
»Ich kann den nicht festhalten!«
Jockel Lauer klang, als würde er sich gleich vor Angst in die Hosen machen. Und als spürte das Tier, welche Macht es über den Schnapsbrenner hatte, hob es den Kopf und fletschte brummend die Zähne.
Johanna war starr vor Entsetzen. Was machte der Bär auf einmal hier? Hatte Justus nicht behauptet, die Tiere wären Gottfried weggenommen worden? Der Gedanke an Martins leeren Ärmel ließ einen Schauer durch ihren Körper rieseln. Jeden Moment würden ihre Knie unter ihr wegknicken.
Auch unter den übrigen Besuchern der Heckenwirtschaft hatte sich inzwischen die helle Panik ausgebreitet. Einer der Schreinergesellen, der offenbar nicht ganz so betrunken war wie seine Kollegen, versuchte sich an einem Ast der Kastanie hochzuziehen. Andere Gäste waren unter die Tische gekrochen. Einige aus der eben noch so fröhlichen Fischerrunde machten sich daran, die Mauer zu erklimmen, zumal der einzige Fluchtweg, die Hofeinfahrt, durch den Bären und Gottfrieds Leute versperrt war.
»Oh, oh, oh!«, machte Justus wie ein Zuschauer in einer Gladiatorenarena.
»Mach Luzi los, mach schon, Jockel!«, brüllte Gottfried Hoffmann.
Er stieß Elisabeth von sich, drehte sich einmal um die eigene Achse und versetzte Ludwig Haldersleben einen solchen Faustschlag gegen die Schläfe, dass Johanna meinte, Knochen knacken zu hören. Der Kartenmacher flog in hohem Bogen vor die Füße Jockel Lauers und des Bären, wo er in sich zusammenfiel wie ein nasser Sack.
Doch anstatt es gut sein zu lassen, stürzte sich Gottfried brüllend auf seinen am Boden liegenden Widersacher, sprang ihm mit voller Wucht auf den Bauch und trampelte mit beiden Beinen auf ihm herum. Schließlich verlor er das Gleichgewicht auf dem weichen Untergrund und taumelte von Ludwig Halderslebens Oberkörper wieder herunter. Dafür holte er nun mit dem rechten Bein weit aus und trat seinem Opfer noch einmal kräftig gegen den Kopf. Alles war so schnell gegangen, dass sich erst in diesem Moment ein Aufschrei aus Elisabeths Kehle löste. Sofort wandte sich Gottfried wieder ihr zu und packte sie an den Haaren. Der Kartenmacher gab keinen Ton von sich, nicht einmal ein Stöhnen oder Wimmern.
Als hätte Elisabeths Schrei ein Signal für ihn bedeutet, begann plötzlich ein kleiner weißer Hund, der einem der Gäste gehören musste, wie verrückt den Bären anzukläffen. Dieser zuckte irritiert mit seinen kleinen Ohren, ignorierte Jockel Lauer und die Lederleine und richtete sich in einer erstaunlich geschmeidigen Bewegung mit seiner ganzen Körpermasse auf die Hinterbeine auf. Der Schnapsbrenner warf erschrocken die Leine von sich und sprang zur Seite. Der Bär legte den Kopf in den Nacken und fletschte erneut die Zähne. Seine Pranken mit den scharfen Krallen schwebten nun genau über dem schwer verletzten Kartenmacher.
Während der kleine Köter bellend um ihn herumsprang, verharrte der Bär endlose Minuten in dieser Haltung – zumindest erschien es Johanna so. Erst als der Kläffer die Lust verlor und sich schwanzwedelnd zu seinem Herrchen trollte, senkte Luzifer seinen Körper langsam wieder nach unten herab. Er sah fast ein wenig verdutzt aus, wie er Ludwig Haldersleben so direkt vor sich erblickte. Als fragte er sich, wer ihm denn dieses große Stück Fleisch so tellerfertig serviert hätte. Er brummte ein paarmal kurz und begann dann mit seiner großen schwarzen Nase an dem Reglosen zu schnüffeln.
In die atemlose Stille hinein, die in der Heckenwirtschaft herrschte, war nur das monotone Klopfen des Spechts zu hören, der unbeirrt weiter seiner Arbeit nachging. Niemand sprach, alle schienen nur darauf zu warten, dass etwas geschah, etwas Schreck liches, Unausweichliches.
»So tut doch was! Warum macht denn hier keiner was? Was seid ihr denn für ein feiges Pack?«, krächzte Elisabeth und trat abwechselnd mit beiden Beinen nach Gottfried.
»Verflucht!«
Justus von Zimmer schien endlich einen hellen Moment in
Weitere Kostenlose Bücher