Die Kaffeemeisterin
käme, würde wohl sogar meine Frau kommen, denn dann wüsste man, dass das eine ehrenwerte Sache ist.«
Er schielte zu Johanna hinüber, als könnte sie beleidigt sein. Aber Johanna wunderte sich nur wieder einmal, weil nie jemand ein Wort darüber verlor, dass Cornelia Haldersleben ihren Mann in Wirklichkeit verlassen hatte. Alle taten so, als wäre sie verwitwet. Obwohl das doch ihre, Johannas, Rolle war.
»Ich lasse Sie beide jetzt mal allein, meine Herren! Ich muss nach den Mädchen sehen.«
Rasch griff sie ihren leeren Teller und Hannes’ Tasse und stand auf, um den Schuster und den Kartenmacher weiter Pläne schmieden zu lassen. Sie hatte wirklich Glück, so nette Nachbarn zu haben, beglückwünschte sie sich einmal mehr. Im Grunde waren es ja eher Freunde. Jedenfalls Menschen, auf die man sich verlassen konnte, das hatte sie in den schweren Stunden nach Adams Tod oft genug gemerkt. Mit Rat und Tat hatten ihr die Halderslebens, Schuhmacher Denzel und noch einige andere zur Seite gestanden. Nur eine richtig gute Freundin fehlte ihr noch immer, so eine, wie Elisabeth es gewesen war. Der sie ihre ureigensten Ängste, Schwächen und Sehnsüchte hätte anvertrauen können. Ihre Nachbarn dachten sicher alle, sie würde ihr Leben gut hinbekommen – ein paar Geldschwierigkeiten hier, der Ärger mit Hoffmann da, aber alles in allem wäre sie hart im Nehmen. Ja, wenn das mal so wäre! Von den vielen Nächten, in denen sie vor Sorgen oder vor Erschöpfung kein Auge zubekam oder in denen sie sich einsam und unglücklich in den Schlaf weinte, hatte sie noch nie jemandem erzählt. Sie hatte schon ein paarmal überlegt, ob sie sich Cornelia Haldersleben anvertrauen sollte. Doch die sehr viel Ältere mit dem strengen Blick einer Äbtissin schüchterte sie ein. Johanna kam sich in ihrer Gegenwart immer so vor, als wäre sie eine Novizin im Kloster. Nein, sie brauchte eine richtige Freundin in ihrem Alter, mit der sie sich austauschen konnte. Oder einen Mann, der an ihrer Seite war und sie beschützte. So wie Adam es getan hatte.
Sie kämpfte sich an einigen Gästen, die im Stehen aßen und lautstark ihre Geschäfte diskutierten, vorbei zum Herd.
»Ah, die Frau Wirtin!«, versuchte der Bendermeister vom Gar küchenplatz sie in ein Gespräch zu verwickeln, während er mit dem Finger gegen seine Schnupftabakdose klopfte, um sich eine Verdauungsprise zu gönnen.
»Schön, Sie zu sehen, Meister Volckhardt!«, grüßte Johanna und schob sich an ihm vorbei. »Ich muss rasch mal nach meinen Mädchen schauen.«
Auf keinen Fall wollte sie sich jetzt schon wieder die Geschichte von seinem Umzug anhören. Der Bendermeister war gerade von der Bendergasse zum Garküchenplatz gezogen und erzählte jeden Tag, wie zufrieden er mit seinem neuen Wohnort sei. Das glatte Gegenteil zur Bendergasse, wo man sich doch arg auf die Nerven gefallen sei. »Das ganze Geklopfe und Gehämmere den lieben langen Tag! Und alle reden nur über Fässer, Bottiche, Zuber, Tonnen und Eimer. Das ist doch eine ganz andere Welt am Garküchenplatz. Wir wohnen zwischen einer Eisenwarenhandlung und dem Kranmeister vom Leonhardstor. Viel ruhiger ist es dort«, pflegte er zu sagen.
Der Eintopf schmurgelte noch immer über dem Feuer. Sybilla nahm den großen Kessel vom Haken und schüttete das dampfende Wasser in einen Holzbottich, in dem schon die dreckigen Teller und Löffel lagen. Etwas Wasser schwappte auf die Holzdie len. Anne und Sybilla nahmen je einen Griff des Bottichs, um ihn in die Spülküche zu tragen.
»Die Mädchen liegen schon im Bett«, rief Sybilla ihr im Gehen zu.
»Danke, Sybilla!«
Johanna eilte den Treppenturm zum zweiten Stock hinauf, wo die Familie wohnte, während der erste Stock den Übernachtungsgästen vorbehalten war. Die Mädchen schliefen bereits tief und fest. Sie unterdrückte ihr schlechtes Gewissen, weil es wieder einmal Sybilla gewesen war und nicht sie als ihre Mutter, die die beiden ins Bett gebracht hatte, und lief in das Kontor. Sie klappte Adams alten Sekretär auf, stellte den dreiarmigen Leuchter auf die Tischplatte und holte eine dicke Kladde aus dem kleinen Regal mit den Geschäftsbüchern. Ungelenk nahm sie die Feder in die Hand und klappte den Deckel des Tintenfasses zurück. Sie tauchte die Feder in die Eisengallustinte und listete in ihrer kindlichen Handschrift auf, was sie für einen Damensalon alles anschaffen müsste.
Als sie alle Posten zusammengezählt hatte – Rechnen fiel ihr leichter als Schreiben –,
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