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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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nicht einmal mitbekommen hatte, dass sich jemand an ihn klammerte, und holte tief Luft. Ein unangenehmer Geruch zog von der Antauche herüber. Sie bemühte sich, nur durch den Mund zu atmen. Erst jetzt merkte sie, dass sie am ganzen Leib zitterte. Noch einmal Glück gehabt, dachte sie. Nur eine Schlaufe an ihrer Jacke war in dem Getümmel abgerissen. Und ihr linkes Strumpfband hatte sich mal wieder gelöst; sie spürte, wie der Strumpf allmählich über ihr Knie rutschte, aber hier mitten auf der Gasse konnte sie nichts dagegen tun. Ihr rechter Schuh war pitschnass, das war klar gewesen. Sie tastete nach ihrer Geld katze: Wenigstens hier schien alles in Ordnung zu sein. Morgen würde sie überall blaue Flecken haben. Mit weichen Knien lief sie weiter.
    Als sie die Judengasse vor einem Jahr zum ersten Mal betreten hatte, um bei einem jüdischen Krämer Kaffee zu kaufen, der besonders gut und günstig sein sollte, war ihr alles fremd und beängstigend vorgekommen. Inzwischen hatte sie sich daran ge wöhnt: an die Enge, die Dunkelheit, den Geruch nach Abwasser, die Horden von Bettlern und Hausierern und die exotische Kleidung der Bewohner. Nur Situationen wie die eben erlebte brachten sie dazu, infrage zu stellen, ob es wirklich klug war, sich ganz allein in diesen Teil der Stadt vorzuwagen.
    Ihre Geschäftsbeziehung zu Jehuda ben Abraham war dadurch zustande gekommen, dass zwei ihrer Kaffeehändler plötzlich und ohne Vorwarnung nicht mehr hatten liefern können. Sie hatte nicht zu beweisen vermocht, dass Gottfried Hoffmann hinter der Sache steckte, so seltsam es ihr auch erschienen war, dass beiden Lieferanten gleichzeitig die Ware ausgegangen war. Damals hatte Jehuda ausgeholfen, der selbst ein guter Kunde beim Kartenmacher Ludwig Haldersleben war. Auf den von Haldersleben gefertigten Karten hatte er ihr gezeigt, wo der Kaffee wuchs, den sie bei ihm bezog. Inzwischen hatte sich ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen entwickelt, obwohl sie noch immer auf der Hut war, um nicht über den Tisch gezogen zu werden. Mochten die Juden ja in ihrer Mehrzahl ein raffgieriges, hinterhältiges Völkchen sein, wie man so sagte: Ihre Erfahrung mit Jehuda widerlegte diese Auffassung. Aber möglicherweise war sie an eine Ausnahme geraten. Oder das dicke Ende kam erst noch. Wer konnte das schon vorhersehen? Auf jeden Fall würde sie weiterhin die Augen offen halten und darauf achten, keine Schulden bei ihm zu machen, auch wenn sie zugeben musste, dass sie weitaus mehr Leute kannte, die bei christlichen als bei jüdischen Geldverleihern in der Kreide standen. Nur dass sie den Herrn Jesus ans Kreuz genagelt hatten, das konnte man den Juden nicht verzeihen, da war sie ganz einer Meinung mit dem Pfarrer. Wobei Jehuda persönlich natürlich nichts mit dieser alten Geschichte zu tun hatte, das war klar.
    Sein Krämerladen im Haus Zum goldenen Kamel lag zwischen einer Druckerei und dem Geschäft eines Trödlers. Wohl die Hälfte der Waren hatte er in großen Körben auf der Straße zur Schau gestellt. Johanna schlängelte sich zwischen Erbsen, Rosinen, Zwiebeln, Kerzen, Stoffresten und Holzkohle hindurch. Über der Tür, direkt unter dem Schild mit dem Kamel, hingen an einer Leine Wollsocken und Handschuhe, die Jehudas Tochter Deborah strickte. Dazwischen einige Bücher mit geheimnisvollen hebräischen Buchstaben auf dem Einband. Unter dem Vordach lag ein großer Haufen Reisig, in dem schon jemand gewühlt zu haben schien.
    Johannas linker Wollstrumpf war bis zum Knöchel hinuntergerutscht, als sie mit noch immer klopfendem Herzen den Laden betrat. Höchstens zehn Schuh breit und nur von einer einzigen Laterne beleuchtet war das Geschäft, sodass man sich wie in dem langen, dunklen Gang vorkam, der zum Inneren einer Burg führte. Überall befanden sich auf- und übereinandergestapelte Waren unterschiedlichster Art und Herkunft, und der Geruch in dem kleinen Laden war wahrhaft einzigartig: Erst roch man den Moder, dann verströmten Muskatblüten, Zimt und Nelken ihren exotischen Duft.
    Der Krämer war dabei, Steck- und Nähnadeln in zwei kleine Schalen zu sortieren, die auf einem Stapel Schreibpapier standen. Wie immer trug Jehuda einen Rock aus Seide nach dem neuesten Schnitt. Unter dem Rock trug er einen langen schwarzen Kaftan und den vorgeschriebenen großen weißen Spitzenkragen. Auf dem Kopf hatte er nur eine Jamulke, der Hut hing am Haken.
    Johanna musste lächeln. Was war der Krämer doch für ein bunter Vogel! Er

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