Die Kaffeemeisterin
kam sie auf ein Ergebnis von über zweihundert Gulden. Eine beträchtliche Summe. Wo sollte sie die bloß hernehmen? Der Damensalon war wirklich eine großartige Idee, die unbedingt umgesetzt gehörte. Bei Licht betrachtet, war er sogar mehr als das: nämlich ihre letzte Chance. Mit dem Da mensalon würde sie ihre Konkurrenz ein für alle Male hinter sich lassen und die Coffeemühle fest in der Stadt etablieren können. So etwas hatte niemand. Und war es nicht an der Zeit, endlich mal den Frauen etwas Amüsement zu bieten?
Sie grübelte über den Ziffern, kürzte hier und dort, aber die Summe änderte sich nicht. Zweihundert Gulden! Johanna starrte auf die flackernden Kerzen. Seit Adams Tod waren jetzt gut zwei Jahre vergangen. Mit mehr Glück als Verstand hatte sie das Geschäft bisher halten können. Fragte sich, wie lange noch. Die Umsätze waren in den letzten Monaten stark zurückgegangen, warum auch immer. Und jetzt mit diesem Aufruf gegen die Kaffeehäuser würden sicher noch weniger Gäste kommen. Wenn sie also den Laden nicht gleich dichtmachen wollte, blieb ihr nur die Flucht nach vorn. Ja, der Damensalon war wirklich ihre letzte Chance! Irgendwoher musste sie das Geld für die Einrichtung einfach nehmen, und wenn sie sich verschuldete!
Johanna stand auf und schob ihren Stuhl zurück. Draußen war es stockfinster. Nicht einmal der Mond schien. Die letzten Gäste waren sicher schon lange nach Hause gegangen. Auch für sie war es höchste Zeit, in die Federn zu kommen. Der Tag morgen würde wieder sehr anstrengend werden, sie würde all ihre Kraft brauchen. Um den Damensalon in Angriff zu nehmen und damit die Coffeemühle zu retten. Das war sie Adam und den Mädchen einfach schuldig.
4. KAPITEL
I n der Judengasse herrschte Hochbetrieb. Als Johanna durch das Tor lief, das nachts und an Sonn- und Feiertagen geschlossen war, um die Bewohner der Gasse von den Christen zu trennen, sah sie vor sich einen Menschenauflauf. Sie nahm sich vor, einfach vorbeizugehen, ohne stehen zu bleiben. Zu spät bemerkte sie, dass die ganze Gasse mit Menschen verstopft war. Auf einmal stand sie mitten in der Menge, bekam kaum noch Luft, und als sie panisch zurück in Richtung Tor ausweichen wollte, stellte sie fest, dass auch nach hinten kein Durchkommen mehr war. Alle Fluchtwege waren abgeschnitten, sie steckte fest. Von jeder Seite drängte jemand gegen sie. Flüche und Schreie hallten in der engen Gasse wider. Ein rabiater junger Mann mit kurzen Schläfenlocken, der aus der Gegenrichtung kam, drückte sie rücksichtslos gegen die Flanke eines Ochsen.
»Achtung, passen Sie doch auf!«, schrie sie dem jungen Mann hinterher, der sich nicht einmal umdrehte.
Der Ochse zog einen mit Holz beladenen Karren und schien ganz allein unterwegs zu sein. Wenn man ihn hier so unbeaufsichtigt herumlaufen ließ und davon ausging, dass er seinen Weg kannte, dann konnte er nicht wirklich gefährlich sein, hoffte Johanna.
Ihre Position wurde immer unangenehmer. Ihr einer Fuß fühlte sich kalt an – kalt und irgendwie nass. Sie blickte an sich herunter. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Mit einem Bein stand sie in dem eisigen Wasser, das durch eine Abwasserrinne in der Mitte der Gasse floss. Vorsichtig versetzte sie ihren Fuß ein Stückchen mehr nach rechts, soweit es der wenige Platz zuließ. Eine Hand legte sie sicherheitshalber auf die Geldkatze, die sie um ihren Bauch gegürtet hatte. Bestimmt liefen hier jede Menge Taschendiebe herum, die das Gedränge für sich nutzen wollten.
Auf beiden Seiten der Gasse räumten die Ladeninhaber eilig ihre Waren aus dem Weg. Ein paar Hockinnen versuchten zeternd ihre kleinen Stände in Sicherheit zu bringen. Schon wurde ein Schubkarren umgeschmissen, aus dem heraus eine der Händlerinnen ihre Waren verkaufte, und Dutzende kleiner, verschrumpelter Äpfel kullerten auf dem Boden herum.
Was für ein Durcheinander! So schlimm waren die Verhältnisse bei ihren letzten Besuchen in der Judengasse aber nicht gewesen. Was war denn bloß los heute? So ein Gedränge, das war ja kaum zum Aushalten! Johanna musste unwillkürlich an die beiden großen Brände denken, die vor gar nicht allzu langer Zeit jeweils die ganze Gasse in Flammen hatten aufgehen lassen. Beim zweiten Feuer war der Schaden zwar nicht ganz so groß gewesen, wie Adam ihr erzählt hatte, aber die Häuser waren noch immer nicht alle wieder aufgebaut. Und trotzdem hatte der Rat der Stadt die Juden vor ein paar Jahren gezwungen, ihre
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