Die Kaffeemeisterin
gelichtet hatte.
So jemand wie er wäre genau das Richtige für die Eröffnung des Damensalons und das große Fest, das sie dazu geben wollte, freute sie sich im Voraus. Das wäre etwas ganz Besonderes, dem Anlass Angemessenes. Den kuriosen Italiener mit seinen Tieren würde so schnell niemand vergessen. Und damit auch nicht den Grund seines Auftritts, sprich: den neuen Damensalon.
6. KAPITEL
F ür heute reichte es. Gabriel Stern beschloss, es mit d em Ko mponieren erst einmal sein zu lassen. Er konnte jetzt nicht arbeiten. Schon seit Tagen verschwendete er seine Zeit, weil er nur vor sich hin träumte, statt sich auf seine Noten zu konzentrieren. Rasch nahm er seinen Hut vom Haken und verließ die winzige Stube. Im Flur saßen zwei Patienten seines Vaters, die darauf warteten, dass der Doktor sich um sie kümmerte: Offensichtlich war er wieder einmal im Spital aufgehalten worden. Unten im Krämerladen wischte der bleiche Schmuel mit einem riesigen Staubwedel die Regale sauber. Jehuda unterhielt sich draußen vor der Tür mit der Druckersgattin von nebenan.
Mit weit ausholenden Schritten machte sich Gabriel auf in Richtung Bornheimer Pforte. Als er die Fahrgasse betrat, stellten sich ihm plötzlich drei verdreckte Lausbuben und ein kleines Mädchen in den Weg. Einer der Jungen schrie: »Judensau!«, und spuckte ihn an. Johlend liefen die Kinder davon. Gabriel reagier te nicht schnell genug und bekam nur noch das kleine Mädchen zu fassen, das sofort zu schreien anfing.
»Was machst du denn da?«, herrschte ihn eine junge Frau an. »Das sind doch bloß dumme Kinder!«
Das Mädchen schrie wie am Spieß. Aber Gabriel reichte es nun. Er packte das Mädchen noch fester, beugte sich zu ihm herunter und sagte drohend:
»Sag deinen Freunden, das nächste Mal kriege ich sie und schlage sie windelweich!«
Mit der freien Hand wischte er die Spucke von seinem Ärmel. Während all der Jahre, die er in Italien gelebt hatte, war ihm so etwas nie passiert.
»Ich war es nicht!«, heulte die Kleine und zappelte so heftig, dass Gabriel sie losließ.
Schnell schlängelte sie sich durch die Menge an Schaulustigen, die sich um sie gebildet hatte. Bevor sie ganz aus seinem Blickfeld verschwand, drehte sie sich noch einmal um und streck te ihm die Zunge heraus.
»Sich mit kleinen Mädchen anlegen, das kann ja wohl jeder!«, höhnte die junge Frau.
Gabriel schob sie zur Seite und ließ die Leute einfach stehen.
»Was fällt dir ein, Jud!«, pöbelte da auch schon ein zahnloser Alter in verfilzten Lumpen hinter ihm her. »Wir wissen alle, was ihr mit Christenkindern macht. Ihr schlachtet sie!« Er reckte die Faust in die Luft und grölte in Richtung Konstablerwache: »Waaaaache, hierher!«
Gabriel beschleunigte seinen Schritt. Ein Bettler, der seinem gut geschnittenen Rock zufolge wohl mal bessere Tage gesehen hatte, hangelte sich an seinen Krücken hoch und humpelte mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
Nicht auch noch das!, dachte Gabriel, kramte aus seinem Rock einen Kreuzer hervor und warf ihn dem Mann zu.
»Ist das alles?«, schrie der ihm entgegen.
Wie betäubt lief Gabriel weiter in die Stadt hinein. Erst als er vor einem Kaffeehaus stand, in dem er sofort die Coffeemühle erkannte, kam er wieder zu sich. Er hatte seine Schritte nicht bewusst zum Alten Markt gelenkt, aber jetzt wurde ihm schlagartig klar, dass er wohl vor allem eins im Sinn gehabt hatte: die rothaarige junge Frau wiederzusehen, die er bei Jehuda getroffen hatte. Immer wieder hatte er an sie denken müssen. Wie anders sie war als die Frauen, mit denen er bisher in Berührung gekommen war. Obwohl sie eine gestandene Geschäftsfrau war, hatte sie zart auf ihn gewirkt, schutzbedürftig und verletzlich, fast als bräuchte sie seine Hilfe. Und sah sie nicht aus wie Bathseba, deren Anmut König David verführt hatte? Im Salon seiner venezianischen Zimmerwirtin hatte eine Kopie von Artemisia Gentileschis Bathseba im Bade gehangen. Ob die Frankfurterin auch diese geschwungenen Formen hatte wie die jüdische Schönheit?
Alle Läden der Gaststube waren weit aufgeklappt und die begehrten Plätze zur Straße hin vollständig besetzt. Eine Dienstmagd stand auf einer Leiter und wienerte das Ladenschild. Gabriel schaute die prächtige Fassade hoch. Das Haus mit seinen drei Stockwerken und dem zweigeschossigen Dach galt als eines der schönsten der ganzen Stadt. Das untere Geschoss wurde von prächtigen geschnitzten Stützbalken gehalten. Hoch über dem Eingangsportal
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