Die Kaffeemeisterin
wollte der Fremde zu ihr.
Johanna drückte Sybilla den Korb in die Hand, die schon mit einer großen Pfanne bereitstand, um die Rühreier zuzubereiten, und trat vor die Tür. Freundlich begrüßte sie den neuen Gast, während sie zugleich die stürmischen Gunstbezeugungen des schwanzwedelnden schwarzen Ungeheuers abzuwehren versuchte.
»Pluto!«, ermahnte der Kleinwüchsige seinen Hund, der sofort den Schwanz einzog und sich mit eingeknickten Hinterläufen neben ihn kauerte.
Johanna nahm dem Mann zwei seiner Bündel und einen großen Vogelkäfig ab und führte ihn in die Gaststube. Nach einem prüfenden Blick auf die Anwesenden geleitete sie ihn zu einem Platz neben drei älteren Wechselmaklern, die nicht miteinander sprachen, sondern bei ihrem Morgenkaffee zu arbeiten schienen. Der Tisch war mit Papieren übersät. Jeder hielt eine Feder in der Hand, und abwechselnd benutzten sie den großen Rechenschieber. Ludwig Haldersleben und Justus von Zimmer hatten sich am Ende des langen Tisches zum Markt hin niedergelassen, sodass der Kartenmacher sein eigenes Geschäft im Blick behalten konnte. Mit einer großartigen Geste klappte er sein neues Schachbrett aus. Auch der blonde Hüne mit der Hakennase, der innerhalb weniger Tage nun bereits zum dritten Mal das Lokal besuchte, war so früh schon da, bemerkte Johanna. Offensichtlich ein Bekannter von Ludwig Haldersleben. Sie war noch nicht dazu gekommen, den Kartenmacher nach ihm zu befragen oder mit dem Gast selbst ins Gespräch zu kommen. Auf jeden Fall sah er ganz anständig aus, fand sie, solide und freundlich.
Erleichtert stellte sie fest, dass inzwischen zumindest Schosch eingetroffen war, der mit hochgekrempelten Ärmeln am Herd stand und aus einer großen Messingkanne Kaffee in mehrere Becher einschenkte.
Der kleinwüchsige Mann hatte derweil das Bündel vom Rücken seines Hundes abgeschnallt, der sich mit heraushängender Zunge zweimal um sich selbst drehte und dann mit dem Hinterteil voran unter den Tisch schob. Daneben stand der Vogelkäfig, in dem sich eine schneeweiße Taube befand.
»Mein Name ist Marcello Ranieri«, sagte er mit starkem Akzent an Johanna gewandt. »E questo è Pluto« , deutete er auf den Hund, der Johanna von unter dem Tisch her die Pfote reichte, und dann auf die Taube: » E quella è la mia cara Esmeralda . Wir kommen geradewegs aus Venezia, Signora – und brauchen eine Unterkunft.«
Mit einer dramatischen Bewegung schlug der Zwerg seine Kapuze zurück. Das Gesicht, das darunter zum Vorschein kam, war grobknochig und von unzähligen Falten durchzogen. Er hatte kurze, fast schon stoppelige graue Haare, musste aber jünger sein, als sein Aussehen vermuten ließ. Auf jeden Fall nicht viel älter als vierzig, schätzte Johanna.
»Wir wollen ein bisschen länger bei Ihnen bleiben«, raunte er ihr mit gesenkter Stimme zu, als handelte es sich um ein Staatsgeheimnis.
Johanna überlegte. Sie war sich nicht sicher, was sie von der seltsamen Gestalt halten sollte.
»Zurzeit sind alle Zimmer belegt«, begann sie zögernd.
» Sì, sì, Signora, das weiß ich. Eigentlich wollten wir schon viel früher hier sein. Vero, Pluto? «
Er streichelte dem Hund über den Kopf, der sofort aufsprang und ihm die Hand leckte.
»Wir wurden in den Alpen aufgehalten«, flüsterte der Italiener und sah sich nach allen Seiten um. »Erst waren die Pässe nicht frei. Dann wurde Pluto krank. Un desastro! Eine Darmkolik. Povero Pluto! Eine Verkettung unglücklicher Umstände – so sagt man, nicht wahr? Erst wurden wir in Lugano, dann in Schwyz aufgehalten. Ma eccoci qua, finalmente! Endlich! Wir wollen hier auf der Messe unser Bestes geben.«
Johanna dachte nach. Wenn sie zu den Mädchen ins Zimmer zog, konnte sie dem Mann ihr eigenes Zimmer vermieten. Je länger der Fremde gesprochen hatte, desto mehr hatte er ihr Interesse geweckt. Noch dazu kam er aus Venedig. Einem Venezianer konnte sie einfach nichts abschlagen. Seit Adam ihr von seinem Freund und Kollegen Floriano Francesconi erzählt hatte, besaßen die Stadt und ihre Bewohner für sie einen eigentümlichen Reiz. Noch dazu war Venedig die Kaffeestadt. Wie gern würde sie einmal dorthin reisen! Welch ein Traum!
»Ja, doch, ich denke, ich kann es einrichten, dass Sie noch ein Zimmer bekommen«, sagte sie freundlich.
»Oh, grazie, Signora« , bedankte sich der Zwerg mit seiner heiseren Stimme. » Mille grazie, das ist so freundlich von Ihnen, wirklich!«
Schosch stellte ungefragt einen Becher Kaffee und
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