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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Geigenkasten auf den Boden und drehte sich nach ihr um. Was hatte er vor? Noch etwa zwanzig Schritte trennten ihn vom Wasser. Hinter ihm konnte sie die lange Reihe der steinernen Brückenbögen ausmachen, gekrönt von den beiden Brückenmühlen in der Mitte. Jeweils die erste Höhlung wölbte sich auf beiden Seiten des Ufers noch über dem grasbewachsenen Lehmboden. Johanna hatte oft genug Kinder unter den Bögen spielen sehen. Oder fahrende Leute beobachtet, die ihr Lager dort aufgeschlagen hatten, solange sie nicht von den Piketts mit Schimpf und Schande davongejagt wurden. Aber warum zeigte Gabriel immerzu dorthin? Was wollte er ihr mit seinen Gesten bedeuten?
    Erst als er die Hände wie einen Trichter vor den Mund legte, konnte sie seine Worte verstehen:
    »Kommen Sie, Frau Johanna, kommen Sie runter zu mir!«
    Wie stellte er sich das vor? Johanna musste lachen. Sie war keine Gämse, so wie er. Sie hatte einen langen Rock an und einen ständig rutschenden Strumpf. Dazu Holzpantinen, die ihr einfach von den Füßen fielen, wenn sie nicht aufpasste. Abwehrend hob sie die Hände.
    »Nein, nein, ich kann nicht! Unmöglich, das geht auf keinen Fall!«
    Doch er schüttelte nur den Kopf mit den wilden Locken und kletterte mit wenigen Sätzen wieder zu ihr hinauf. Wortlos ergriff er ihren Arm, legte ihn sich um die Schultern, nahm ihre überhängende Hand in die seine und umfasste mit der anderen fest ihre Hüften. Vorsichtig begann er den Abstieg. Johanna schwebte mehr, als dass sie ihre Füße auf dem glitschigen Geröll aufsetzte, so fest hielt er sie gestützt.
    Rasch löste sie sich aus seiner Umarmung, kaum dass sie wieder festen Boden unter sich fühlte. Diese Nähe durfte nicht sein! Nicht schon wieder! Sie hatte noch genau ihre Empfindungen in Erinnerung, als sie vorhin vor dem Kaffeehaus schon einmal seinen Körper so dicht an ihrem gespürt hatte. Seinen Geruch. Seine Kraft. Seine Sinnlichkeit, die sie mehr als verwirrte. Ein Mann, der so viel jünger war als sie. Ein Jude.
    Sie musste jetzt sofort aufhören mit diesem Unsinn, versuchte sie sich einzureden. Das durfte so nicht weitergehen! Ein einziges Mal in ihrem Leben hatte sie sich so gefühlt, da war sie fünfzehn gewesen. Elisabeths Bruder Peter hatte um sie geworben, aber dann hatte sie sich entschieden, Adams Antrag anzunehmen. Er war ein wohlhabender Mann. Er hatte sie aus der Leibeigenschaft gekauft, waren die Bornheimer doch Untertanen der Frankfurter, und sie zu einer freien Bürgerin der Reichsstadt gemacht. Dafür würde sie ihm bis an das Ende ihrer Tage dankbar sein. Und sie hatte ihn auch geliebt. Vielleicht mehr wie einen Vater oder einen Bruder als wie einen Geliebten, dem man verfallen war, das ahnte sie dumpf. Doch das, was sie jetzt für Gabriel Stern zu empfinden begann, hatte damit nichts zu tun. Das war bloß eine Verrücktheit. Etwas Verbotenes. Sie fühlte sich wie Eva, die kurz davor war, in den Apfel zu beißen.
    Zaghaft wandte sie das Gesicht in seine Richtung. Seine Miene wirkte verschlossen, als hätte sie ihn mit ihrem Rückzug gekränkt. Im Profil sah er ganz klassisch aus, mit der hohen Stirn, der langen, ein wenig gebogenen Nase. Seine vollen Lippen waren zu einem schmalen Strich verzogen. Er schaute auf den Fluss oder über ihn hinaus, sie konnte nicht erkennen, welches Ziel seine Augen fixierten.
    Schließlich wandte er sich um und hob seinen Geigenkasten auf.
    »Kommen Sie!«, sagte er wieder, aber diesmal, ohne sie anzusehen und nicht mit derselben Begeisterung wie zuvor.
    Johanna folgte ihm langsam, bis er unter dem Brückenkopf haltmachte, den Geigenkasten auf einem großen, flachen Stein direkt am Wasser ablegte, ihn öffnete und vorsichtig das Instrument herausnahm. Schwungvoll legte er sich die Geige unters Kinn und begann sie zu stimmen. Mit gerunzelter Stirn lauschte er den Tönen nach, die sich unter der steinernen Wölbung entfalteten, zupfte und strich die Saiten, drehte die Wirbel, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war.
    Dann endlich lächelte er und wies mit dem Kinn auf den Stein, auf dem der Geigenkasten lag.
    »Nehmen Sie Platz, Madame! Das hier ist mein Konzertsaal.«
    Er zeichnete mit dem Bogen einen weiten Kreis in die Luft, der den gesamten Raum unter dem ersten Brückenbogen umfasste.
    »Hier pflege ich mich vor Publikum in meiner Kunst zu üben. Manchmal sind es spielende Kinder, manchmal Zigeuner, manchmal auch Fischer, die am Ufer festmachen, wenn sie mich spielen hören. Manchmal bin ich auch ganz

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