Die Kaffeemeisterin
quollen wie immer ein wenig unordentlich aus ihrer Haube hervor. Ihre Wangen waren vom Laufen an der frischen Luft gerötet.
»Ihr könnt in die Stube gehen.«
Esther Sterns Miene drückte höchste Missbilligung aus, als sie Johanna und ihren Sohn durch den schmalen Flur in den Salon lotste.
»Bitte!«
Gabriel bedeutete Johanna auf dem tannengrünen Sofa Platz zu nehmen. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und sie auf den wunderschönen Mund geküsst, als er sah, mit welch bedrücktem Gesichtsausdruck sie sich hinsetzte. Sie machte keinen Hehl daraus, wie unangenehm ihr die ganze Sache war. Was sie wohl von ihm wollte? Es musste etwas Ernstes sein, sonst hätte sie sicher kaum das Risiko auf sich genommen, ihn, den Juden, in seinem Elternhaus aufzusuchen. So etwas sollte eine junge Witwe, die auf ihren Ruf bedacht war, nicht einmal bei einem unverheirateten Christen tun.
»Sie müssen mir helfen!«, legte die Kaffeehauswirtin sogleich los.
Kein Lichtstrahl drang durch das Fenster hinein, das von einem schweren Vorhang aus dunkel gemustertem Brokat verhüllt war. Johanna hockte auf der vordersten Kante des altmodischen Sofas, während Gabriel ihr gegenüber auf einem unbequemen Stuhl mit hoher Lehne Platz genommen hatte.
Der Geiger zog die Augenbrauen hoch. Er hoffte, dass seine Mutter nicht lauschend vor der Tür stand. Wie sollte er seinen Eltern diesen Besuch erklären? Wie den Nachbarn? In dieser Gasse bekam jeder alles mit. Schon jetzt würden sie über ihn klatschen. Er musste hier so schnell wie möglich raus.
»Morgen wird mein Damensalon eröffnet, und ich gebe zusätzlich ein großes Fest, damit alle anderen Gäste mitfeiern können. Meine Hauptattraktion sollte ein italienischer Zauberkünstler sein. Sogar die Frau des Schreibers des Jüngeren Bürgermeisters hat daraufhin durchblicken lassen, dass sie kommen würde. Bestimmt die Hälfte der Damen hat nur wegen des Zauberers ihr Kommen zugesagt. Ich habe überall damit geworben.«
Sie hielt inne und schluckte. Ihre Finger spielten nervös mit dem Rüschensaum der Schürze.
»Und?«
Gabriel, der ein Bein über das andere gelegt hatte, stützte das Kinn in die Hand und sah sie abwartend an.
»Er ist heute Morgen abgereist. Er hat einfach die Stadt verlassen und mir nur einen Brief hinterlegt.«
Sie kramte einen Zettel aus ihrer Schürze hervor. Irritiert sah sie an sich hinunter. Gabriel biss sich auf die Lippen, um nicht vor Lachen laut herauszuprusten. Johanna schien erst jetzt bemerkt zu haben, dass ihr Aufzug für einen solch heiklen Besuch ziemlich unpassend war. Wahrscheinlich dachte seine Mutter, sie wäre eine Küchenmagd, die sich von ihm hatte schwängern lassen. Kein Wunder, dass sie so schmallippig gewesen war! Aber wirklich lustig war das alles nicht, riss er sich dann zusammen. Johanna musste ernsthafte Sorgen haben, sonst wäre sie wohl kaum zu ihm gekommen.
Mit bebenden Händen reichte die Kaffeehauswirtin dem Geiger über den schmalen Sofatisch hinweg einen verknitterten Zettel.
» Gentile Signora« , las er, »leider kann ich nun doch nicht bei Ihnen auftreten, weil wichtige Geschäfte mich aus Frankfurt wegrufen. Bitte passen Sie gut auf Esmeralda auf, die ich wegen der Eile nicht mitnehmen kann. Und verzeihen Sie mir! Con tutta stima , Marcello Ranieri.«
Wortlos gab Gabriel Johanna den Zettel zurück und sah sie an. Was hatte er mit diesem Zauberer und seiner plötzlichen Flucht zu tun?
»Sie müssen mir helfen!«, sagte Johanna eindringlich.
Als er nicht reagierte, vertiefte sich die Röte auf ihren Wangen noch.
»Wie denn?«, fragte er schließlich wenig überzeugt.
»Ich brauche unbedingt einen Künstler für meine Saloneröffnung, sonst wird das alles nichts. Und Sie sind Künstler!«
»Aber ich bin kein Zauberkünstler, ich bin nur ein einfacher Musiker! Und ein jüdischer noch dazu! Christliche Kaffeehäuser darf ich nicht einmal betreten, geschweige denn dort auftreten. Das wissen Sie doch!«
Johanna blieb stumm. Sie schaute ihn nur an.
Ob sie gleich zu weinen anfangen würde?, fragte sich Gabriel unwillkürlich.
»Während der Messe wäre es vielleicht noch gegangen, da ist ja alles erlaubt«, fügte er rasch hinzu. »Aber jetzt ist die Zahlwoche vorbei. Da wird wieder darauf geachtet, dass alles seine Ordnung hat.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Schon unglaublich, dass man während der Messe die Gesetze einfach lockert, damit nichts die Geschäfte behindert! Wir leben in einer
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