Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
Vom Netzwerk:
legen versucht, Missbilligung ob so viel Unverfrorenheit, doch es gelang ihr nicht, die plötzlich aufsteigende Heiterkeit zu unterdrücken.
    Der Wind, der vom Main hochkam, blies ihr frontal ins Gesicht. Sie spürte, wie er an ihrer Haube zerrte, und knotete die Bänder unter dem Kinn noch einmal fester. Ehe sie sich versah, fuhr eine Böe unter ihre Röcke, sodass sie hochschlugen und ihre Beine freigaben.
    O Gott, das Strumpfband! Schon wieder! Jetzt musste sie noch mehr lachen. Vergeblich kämpfte sie mit den widerspenstigen Stoffmassen, die in dem zunehmend stärker werdenden Wind nicht mehr zu bändigen waren. Sie konnte kaum etwas sehen, weil ihr immer wieder ein Stück des Rocks die Sicht versperrte. Wenigstens würde der Wind den Röstgeruch aus ihrer Kleidung vertreiben! Sie roch ja selbst wie eine Kaffeebohne.
    »Es scheint ein Gewitter aufzukommen, wir müssen hier weg«, hörte sie ihn sagen, doch seine Stimme klang überhaupt nicht besorgt. Im Gegenteil, sie klang äußerst zufrieden. Und amüsiert.
    »Bitte, Gabriel, jetzt helfen Sie mir endlich hier runter«, wollte sie ihn anfahren, als sie auch schon von seinen Armen hochgehoben wurde. Und wieder ließ er sie nicht sofort los.
    Sie spürte sein Herz gegen ihren Bauch schlagen. Kühl umwehte die Abendluft ihr nacktes Bein, von dem sich der Strumpf nun endgültig gelöst hatte. Sie sah auf sein Gesicht herab.
    Wie schön er ist, durchfuhr es sie unwillkürlich. Die hohe, schmale Stirn. Die großen Augen mit den schweren Lidern, deren Pupille im Dämmerlicht kaum mehr von der dunklen Iris zu unterscheiden war. Die aristokratische Nase und die halb geöffneten Lippen, hinter denen seine weißen Zähne blitzten.
    Sie fühlte seine Arme, die um ihren Unterkörper geschlungen waren, fest und stark. Ihre eigenen Arme hingen wie leblos an den Seiten herab.
    »Gabriel, ich …«
    Ein Blitz zuckte über den schlagartig dunkel gewordenen Himmel, dicht gefolgt von einem lauten Donnerkrachen. Schon begann der Regen herunterzuprasseln.
    »Die Geige!«, stieß Johanna hervor.
    Doch da hatte Gabriel sie schon losgelassen und nach dem Geigenkasten gegriffen. Rasch stürzte er zu der hinteren Wand des Brückenbogens und legte den Kasten vorsichtig in der Mitte der Mauer auf dem Lehmboden ab, sodass kein Regen und kein aufspritzendes Flusswasser ihn mehr erreichen konnten.
    Fröstelnd starrte Johanna auf die weißen Schaumkronen, die sich auf dem Main gebildet hatten. Dicht neben ihr rauschte der Regen herab, als wäre er ein Vorhang aus unzähligen gläsernen Fäden. Immer wieder erhellten Blitze den schwarzen Himmel. Von beiden Seiten lief das Wasser in Sturzbächen die Böschung herunter. Nicht mehr lange, und sie würden nasse Füße bekommen, dachte sie. Aber da schien das Gewitter seinen Höhepunkt schon überschritten zu haben. Die Abstände zwischen Donner und Blitz wurden länger, und der Regen ließ nach.
    Johanna atmete tief durch. Sie strich ihre Röcke glatt und zog den rutschenden Strumpf wieder hoch. Ihr Umschlagtuch knotete sie noch einmal neu über der Brust.
    Das war knapp, dachte sie. Verdammt knapp!

7. KAPITEL
    G abriel Stern blickte von seinem Notenpapier auf. Er rieb sich die tränenden Augen. Einen einzigen Takt hatte er bisher aufs Papier gebracht. Dabei war in seinem Kopf der größte Teil seiner Oper Die Söhne Abrahams längst fertig. Bei der lang erwarteten Geburt Isaaks würden die Pauken und Trompeten einsetzen. Gleich vier Trompeten würde er schmettern lassen. Die Rabenfeder lag reglos in seiner Hand, die Tinte war längst eingetrocknet. Er starrte aus dem Fenster auf die mittel alterliche Stadtmauer, die die Judengasse vom Rest der Stadt abtrennte. Vorschrift war natürlich, dass die Fenster zugenagelt waren, damit die Juden die Christen nicht sehen konnten. Er hatte die Bretter gleich abgerissen, als er das Zimmer nach seiner Rückkehr aus Italien bezogen hatte, was in einen Streit mit seinen Eltern gemündet war. Über kurz oder lang würde ihn jemand denunzieren, und sie müssten eine Strafe zahlen. Nur Jehuda hatte die Sache kaltgelassen: »Man kann die Regeln unmöglich alle einhalten. Das schafft niemand. Sieh zu, dass du dich nicht erwischen lässt!«, war sein Kommentar gewesen.
    Er erhob sich, klappte das Spinett auf und klimperte ein paar Takte vor sich hin. Sofort begann er wieder zu träumen. Ständig musste er an Johanna Berger denken, an den Nachmittag am Main, den Zauber jener Stunde, die sie zusammen verbracht und die

Weitere Kostenlose Bücher