Die Kaffeemeisterin
ein so abruptes Ende genommen hatte. Johanna war einfach gegangen und hatte ihn im Regen stehen lassen. Buchstäblich. Sie hatte gerade noch ein förmliches »Auf Wiedersehen!« gemurmelt, dann war sie, ohne ihn anzusehen, am Mainufer in Richtung Leonhardstor davongeeilt. Ein seltsames Verhalten nach der Innigkeit, die zwischen ihnen geherrscht hatte! Als ob sie es mit der Angst zu tun bekommen hätte.
Mechanisch bewegten sich seine Finger auf dem Spinett hin und her. Gelangweilt von sich selbst, schob Gabriel schließlich einen mitten im Zimmer herumstehenden Sabbatleuchter zur Seite und packte seine Geige aus. Er kramte die Noten hervor, eine Violinsonate von Giuseppe Tartini. Den ersten Satz ließ er weg und begann sogleich mit dem Largo, von dem er hoffte, es würde seine Nerven beruhigen.
Nie hätte er erwartet, dass ihm die Rückkehr nach Frankfurt solche Schwierigkeiten bereiten würde. Die Enge und Beschränktheit des Gettos waren kaum auszuhalten. Dabei hatte er in Venedig, vor allem in den ersten Wochen dort, solches Heimweh gehabt! Wie hatte er sich danach gesehnt, endlich wieder seiner Mutter beim Anzünden der Sabbatkerzen zuzusehen und dem Gesang von David Gans, dem Kantor mit der schönen Stimme, zu lauschen! Und nirgends schmeckte der Lokschenkugel so gut wie bei seiner Mutter, da kam selbst das raffinierteste pasta- Gericht nicht gegen an.
Er war erst zu Frühlingsanfang, kurz vor Pessach, nach Frankfurt zurückgekommen, aber er konnte schon jetzt absehen, dass er hier beruflich kein Glück haben würde. Jedenfalls nicht als Komponist, höchstens als Musiklehrer oder als Spielmann. Der Geigenunterricht bei Eva und Babette Bär brachte in der Tat ein bisschen Geld. Aber leider waren die Töchter des wohlhabenden Geldwechslers Mosche Bär vollkommen unmusikalisch, und ohnehin galt das Interesse der fröhlichen und nach Abenteuern hungernden Mädchen an erster Stelle dem Kartenspiel und gleich danach den jungen Männern auf der Gasse, die sie von ih rem Fenster aus kichernd beobachteten. Und was seine Tätigkeit als Spielmann betraf: Er war zwar sofort nach seiner Ankunft gleich mehrfach gebeten worden, auf irgendwelchen Verlobungen, Hochzeiten, Beschneidungen oder zur Bar-Mitzwa aufzuspielen. Doch den Juden waren ja vom Rat der Stadt Frankfurt nur zwölf Hochzeiten pro Jahr erlaubt! Und die anderen Gelegenheiten boten sich auch nicht so häufig, als dass er langfristig genug Geld damit verdienen könnte, zumal er beileibe nicht der einzige Besitzer eines Musikinstruments in der Gasse war. Und wie gut einer darauf spielte, das war am Ende doch bloß zweitrangig. Abgesehen davon: Für seine Eltern befanden sich Musikanten auf der gesellschaftlich niedrigsten Stufe. Irgendwo da, wo auch Tova, ihre Magd, stand.
Unwillkürlich waren seine Hände dazu übergegangen, statt des Tartini-Largos die ersten Takte von Die Söhne Abrahams für die erste Geige zu intonieren. Ja, genauso musste es gehen, hier gehörte unbedingt ein Dominantseptakkord hin! Warum war er nicht schon längst drauf gekommen? Dann konnte er ihn nämlich in der zweiten Geige ein paar Takte später wieder auflösen, und der Zusammenklang wäre plötzlich ein ganz anderer … Rasch legte er das Instrument auf einen Hocker und tunkte die Rabenfeder in das Tintenfass, um seinen Einfall zu notieren.
Doch genauso schnell, wie seine Begeisterung aufgeflammt war, verschwand sie auch wieder. Denn selbst wenn es ihm gelang, Die Söhne Abrahams hier in Frankfurt fertigzustellen – wer würde sie aufführen? Es gab ja nicht einmal eine Oper in der Stadt! Keinen Fürstenhof, der Musiker protegierte! Aber als Jude hätte er da sowieso keine Chance, tröstete er sich gleich darauf mit einem resignierten Auflachen. Für eine Stelle als Kirchenmusiker kam er auch nicht infrage, wobei er das kaum hätte machen wollen, wenn er ehrlich war. London, ja, früher oder später würde er nach London gehen müssen. Schon lange spielte er mit dem Gedanken. Die britische Weltstadt schien ihm der richtige Ort für Juden und für Komponisten zu sein. Niemand zwang einen dort, in einer engen Gasse zu leben, und die Londoner lieb ten Musik. Und deutsche Komponisten. Das sah man an Händel oder auch an dessen Widersacher Pepusch. Natürlich war Ve nedig die bedeutendste Musikstadt Europas, aber selbst dort lebte man als Jude eingeschränkt. Und er war nun einmal Jude. Und wollte es bleiben. Auf keinen Fall würde er wie manch anderer aus reinem Opportunismus zum
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