Die Kaffeemeisterin
raffgierigen Stadt.«
»Dann müssen wir das Gesetz eben mal Gesetz sein lassen!«, meinte Johanna plötzlich mit forscher Stimme.
»Wie meinen Sie das?«, fragte der Geiger leicht belustigt.
»Nun, ich brauche einen Künstler, der die Leute unterhält. Und Sie spielen doch so schön!« Sie bemühte sich weiter um einen resoluten Ton. »Und ich würde gut bezahlen. Sagen Sie mir, was Sie haben wollen – ich zahle das. Sie können spielen, was Sie wollen. Hauptsache, die Leute fühlen sich gut unterhalten!«
»Ich würde Ihnen ja liebend gerne helfen. Aber Sie wissen, dass es verboten ist. Wir beide bekommen furchtbaren Ärger, wenn wir gegen das Gesetz verstoßen.«
Erneut schüttelte Gabriel bedauernd den Kopf. Wie stellte sie sich das bloß vor? So viel Naivität war schon erstaunlich. Oder war es Chuzpe?
»Ich brauche Sie unbedingt«, versuchte Johanna es noch einmal, »ich bin sonst ruiniert! Ich habe so viel Geld in den Salon gesteckt. Wenn dieses Geschäft nicht aufgeht, dann weiß ich nicht, was ich tun soll. Wenn der angekündigte Künstler nicht auftritt, bin ich bis auf die Knochen blamiert.« Sie zückte ihre letzte Karte: »In Italien, wo Sie so lange gelebt haben, hält man sich doch auch nicht immer an die Gesetze, habe ich mir sagen lassen. Oder?«
»Das ist etwas anderes. Wir sind hier eben nicht in Italien«, erwiderte Gabriel freudlos. »Was ist denn mit dem Zauberer los, warum ist er so plötzlich abgereist?«
»Ich vermute, dass ihn jemand bestochen hat. Oder man hat ihn bedroht.« Johannas Stimme klang traurig. »Irgendetwas muss da vorgefallen sein. Und ich kann mir auch denken, wer dahintersteckt. Man will verhindern, dass mein Salon ein Erfolg wird. Ranieri hat sich regelrecht aus dem Haus geschlichen. Das meiste Gepäck und sogar seine Möwe hat er uns dagelassen. Dabei ist er ja auf die Sachen angewiesen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen! Wenn er mir nicht diesen Brief dagelassen und nicht zwei von seinen Bündeln gefehlt hätten – ich hätte ihn für tot gehalten!«
»Frau Johanna, ich würde Ihnen ja gerne helfen. Wirklich! Aber ich sehe nicht, wie das gehen soll. Wenn ein Jude in Ihrem Kaffeehaus auftritt, ist das ein gefundenes Fressen für alle, die entweder Ihnen oder mir oder uns beiden schaden wollen. Man wird uns anzeigen. Das ist Wahnsinn, was Sie da vorhaben!«
»Es braucht ja niemand zu wissen, dass Sie Jude sind!«
»Ich heiße aber nun einmal Gabriel Stern und bin Jude, und so sehe ich auch aus. Die Leute sind ja nicht dumm! Und der ein oder andere wird mich auch kennen. So groß ist die Stadt ja nicht, und ich war nur ein paar Jahre weg.«
»Ich würde Sie meinem Publikum als italienischen Künstler vorstellen! Aus Venedig! Statt eines italienischen Zauberers tritt eben ein italienischer Musiker auf. Bei den vielen Italienern hier in der Stadt fällt das gar nicht auf. Ganz einfach …«
Gabriel musste gegen seinen Willen schmunzeln. Es war unglaublich, wie hartnäckig die Kaffeehauswirtin war! Das Wasser schien ihr bis zum Hals zu stehen. Oder warum wollte sie die Verhältnisse nicht so akzeptieren, wie sie waren? Sie hatte sich ihren Plan offenbar genau zurechtgelegt und alle Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen. Und in der Tat: Die Idee war einfach, aber genial! Eigentlich konnte dabei gar nichts schiefgehen. Doch eines hatte sie vergessen: sich in seine Situation zu versetzen. Mit seinem Widerstand schien sie überhaupt nicht gerechnet zu haben. Sie brauchte ihn schlicht und einfach – und sie wusste, dass auch er das wusste.
Wahrscheinlich hatte sie auch gewittert, wie anfällig er für diese Art von Scharade war. Gabriel lächelte in sich hinein. Und wie geübt er darin war, sich als Christ auszugeben! Schließlich hatte er das in Venedig drei Jahre lang getan, sonst hätte er dort den gelben Hut tragen und im Getto wohnen müssen. Ob der Maestro ihm auch Unterricht erteilt hätte, wenn er über seine Religion im Bilde gewesen wäre – diesen Gedanken hatte er vorsichtshalber nie zu Ende gedacht. Sein Judentum zu verbergen, war ihm zwar leichtgefallen, aber er hatte sich trotzdem geschworen, nie wieder in diese Art von Heimlichtuerei und Betrug zu verfallen. Man verstrickte sich immer weiter in seine Lügen und musste ständig fürchten, entdeckt zu werden. Ganz zu schweigen davon, dass man den eigenen Glauben, seine Sitten und letztendlich sich selbst verleugnen musste. Wie sehr hatte er sich gefreut, in Frankfurt wieder unter
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